Weitsicht, Unterstützung und Dialog: Was wir 2023 von der Politik erwarten

Die Bundesregierung muss dieses Jahr die Rahmenbedingungen für die heimische Nutztierhaltung neu gestalten

Dieses Jahr hat sich in vielen Bereichen abgezeichnet, wie die ambitionierten Ziele der Ampel-Regierung für die Transformation der Nutztierhaltung umgesetzt werden sollen. Leider bleiben aber entscheidende Fragen offen, unter anderem: Für welche Produkte und Vermarktungswege werden Haltungs- und Herkunftskennzeichnung gelten? Und wer soll den Stallumbau bezahlen?

Voraussagen sind in einer volatilen, dynamischen Weltlage eine denkbar kniffelige Angelegenheit. Die letzten drei Jahre haben deutlich vor Augen geführt: Es kommt erstens anders, und zweitens, als man denkt. Erst die Corona-Jahre, dann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben dramatische gesellschaftliche und wirtschaftliche Turbulenzen gebracht, auf die die Politik mit kurzfristigen Maßnahmen reagieren musste – das ist auch für 2023 nicht ausgeschlossen. Zudem sollte sich unsere Regierung in dieser drastisch ändernden Welt fragen: Ist unser Fahrplan noch zeitgemäß oder müssen wir den Kurs anpassen?

Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) erwartet von der Politik im kommenden Jahr wegweisende Impulse und Entscheidungen in den folgenden fünf Bereichen:

Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnung für alle Vermarktungswege

Die Regierungsparteien haben eine „verbindliche Tierhaltungskennzeichnung“ sowie eine „umfassende Herkunftskennzeichnung“ angekündigt. Diese richtigen und wichtigen Ankündigungen sollen zwar 2023 umgesetzt bzw. in die Wege geleitet werden –  die staatliche Haltungskennzeichnung, die momentan in Brüssel geprüft wird, ist allerdings dringend nachbesserungsbedürftig (Näheres zu unseren Kritikpunkten lesen Sie hier). Unter anderem wird bemängelt, dass Importeure von einem nationalen Haltungslabel nicht erfasst werden dürfen. Diesen Wettbewerbsnachteil für heimische Produzenten soll eine zusätzliche, EU-weit verpflichtende Herkunftskennzeichnung ausgleichen.

Anfang 2023 will die EU einen Entwurf für eine solche Herkunftskennzeichnung vorlegen. Für den Fall, dass der nicht „umfassend“ genug ist, hat Deutschland nationale Schritte angekündigt. Hoffentlich hat Özdemirs Ressort hier schon etwas in der Hinterhand. Denn es ist fraglich, dass der EU-Entwurf den richtigen Geltungsbereich in den Blick nimmt: Im Lebensmitteleinzelhandel gibt es bereits große Herkunftstransparenz, in Restaurants und Kantinen hingegen fehlen Informationen zur Fleischherkunft in der Regel völlig.  Die verpflichtende Herkunftskennzeichnung muss daher insbesondere den Außer-Haus-Verzehr einbeziehen.

Stallumbauten: Baurecht modernisieren und Finanzierung klären!

Die Koalitionsparteien wollen nach eigener Aussage „Landwirte dabei unterstützen, die Nutztierhaltung in Deutschland artgerecht umzubauen“. Für die nötigen Stallumbauten muss die Politik aber erst einmal die Voraussetzungen schaffen – und zwar sowohl baurechtlich als auch finanziell: Zum einen braucht es eine Anpassung des Baugesetzbuchs und der sogenannten TA Luft, weil die Genehmigungsbehörden bei geplanten Stallumbauten bislang dem Klimaschutz Vorrang geben und damit unrealistische Anforderungen an die Tierhalter stellen (mehr zu dieser Problematik lesen Sie hier).

Zum anderen fehlt immer noch ein verlässliches Finanzierungskonzept: Experten der Borchert-Kommission schätzen die Kosten, die Stallumbauten und langfristig höhere laufende Ausgaben für mehr Tierwohl verursachen, auf jährlich drei bis fünf Milliarden Euro. Die neue niedersächsische Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) hat sie sogar zuletzt auf bis zu sieben Milliarden Euro taxiert. Die Regierung hat aktuell lediglich eine Milliarde Euro Anschubfinanzierung vorgesehen. Auf weitere Unterstützung – sei es über Mehrwertsteuererhöhungen oder eine staatliche finanzierte Tierwohl-Prämie, wie sie die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat – kann sich die Politik bisher nicht einigen. Es wird Zeit, dass die Parteien hier zu einer tragfähigen Lösung kommen. Eine Haushaltslösung könnte schnell und akzeptiert die Kuh vom Eis bringen! Deutschlands Geflügelbetriebe brauchen für den Umbau Planungs- und Investitionssicherheit.

Mehr Forschung für gesundes Geflügel und Impfung gegen Geflügelpest

Einen so lang andauernden, heftigen Seuchenzug wie dieses Jahr haben Geflügelhalter und Tierärzte bei der Geflügelpest noch nicht erlebt. Die Existenzen der betroffenen Betriebe sind bedroht. So kann es nicht weitergehen! „Wir kommen um eine Erweiterung der bisherigen Bekämpfungsstrategie nicht herum“, sagt ZDG-Präsident Ripke. Die Politik muss aus Sicht des Verbandes dringend die Weichen für die Entwicklung neuer Impfstoffe stellen, um die Geflügelpest langfristig in den Griff zu bekommen. Das klare Ziel ist „Impfen statt Töten“!

Auch beim Thema Antibiotika muss Innovation gefördert und in der Praxis eingesetzt werden. Im Rahmen des neuen Arzneimittel-Gesetzes werden Antibiotika-Anwendungen künftig strenger reglementiert werden. Zudem hat die Ampel angedacht, bestimmte Antibiotika ersatzlos zu verbieten, was der Bundesverband Praktizierender Tierärzte scharf kritisiert. Klar ist laut ZDG-Präsident Ripke: „Wir brauchen Alternativen, bevor wir den Einsatz von Antibiotika weiter reduzieren oder über Verbote einzelner Arzneimittel nachdenken und kranke Tiere unbehandelt lassen müssen. Den Kampf gegen Krankheiten gewinnen wir nicht mit gutem Willen allein, sondern mit forschungsbasierten, praxistauglichen Entscheidungen. Auch Alternativen wie CE-Kulturen und Bakteriophagen müssen kurzfristig mehr in den Fokus rücken.“

Nachhaltigkeit muss umfassend gedacht werden

Die Regierung hat sich große Nachhaltigkeitsziele gesteckt, setzt den Fokus dabei aber fast ausschließlich auf „bio“. Die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft basiert aber auf der Harmonisierung von drei Faktoren: ökologische Verträglichkeit, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Um die UN-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu erreichen und den deutschen Beitrag zur Ernährungssicherheit einer wachsenden Weltpopulation zu leisten, muss die Regierung ihren aktuellen Kurs prüfen, alle drei Säulen der Nachhaltigkeit im Blick behalten – und bedenken, dass ihre Entscheidungen weitreichende Folgen haben: Durch den Bio-Fokus wird es Produktionsrückgänge in allen landwirtschaftlichen Bereichen geben – daraus folgen  steigende Importe. Für den Geflügelmarkt, auf dem die Nachfrage in Deutschland gleichbleibend hoch ist, würden diese Importe aus Ländern mit niedrigeren Tierwohl- und Klimaschutzstandards kommen. Die Verantwortung der Landwirtschaftspolitik hört nicht an der Landesgrenze auf, letztere muss künftig weitsichtiger und globaler denken und handeln.

Novellen im Tierschutzrecht dürfen nicht zur Abwicklung der Nutztierhaltung in Deutschland führen

Die Bundesregierung geht mit ihren Entwürfen für weitere Reformen im deutschen Tierschutzrecht deutlich zu weit. Insbesondere die drastische und rein nationale Reduzierung der Besatzdichten wird die deutsche Geflügelhaltung nicht aushalten können. Bei Puten von 58 kg/m² auf unter 40 kg/m² zu gehen, kommt einem Berufsverbot gleich und hat mit Transformation nichts mehr zu tun! Ripke stellt fest: „Wenn wir darüber nicht mehr reden und Änderungen herbeiführen können, müssen wir dem Agrarministerium mit Konfrontation begegnen!“

Mehr Dialog zwischen Politik und Praxis

Damit es bei den oben genannten Themen zielführend vorangeht, müssen Politiker und Vertreter der Geflügelbranche im kommenden Jahr zwingend miteinander kommunizieren. Politische Entscheidungen dürfen nicht auf ideologischen Überzeugungen basieren, sie müssen die realen Bedingungen und Bedürfnisse der Geflügelhalter und auch der Konsumenten und des realen Marktes stärker miteinbeziehen. „Jede neue Regelung muss auf ihre Praxistauglichkeit und ihre Folgen  geprüft werden“, sagt ZDG-Präsident Ripke. „Wer könnte da besserer Ratgeber sein als die Menschen, die sich tagtäglich mit verantwortungsvoller Aufzucht, moderner Haltung und erfolgreicher Vermarktung von Geflügel beschäftigen?“

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