Neue Ernährungsempfehlung in Arbeit: Radikale Reduktion des Fleischverzehrs?

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) arbeitet an neuen Ernährungsempfehlungen - Methodik und Herangehensweise sorgen für Kritik

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat unter anderem die Aufgabe, wissenschaftlich fundierte Verzehrempfehlungen zu entwickeln und herauszugeben – und zwar unabhängig und transparent. Weil die aktuell gültigen Empfehlungen den Aspekt der Nachhaltigkeit zu wenig berücksichtigen, arbeitet die Gesellschaft zurzeit an einer Aktualisierung. Doch ihr Vorgehen wirft Fragen auf.

Im April dieses Jahres hat die DGE Akteuren aus Ernährungs- und Landwirtschaft, Wissenschaft und Verbraucherschutz die Möglichkeit gegeben, einen Einblick in den Aktualisierungsprozess zu erhalten und die geplante neue Berechnungsmethodik im Rahmen einer „öffentlichen Kommentierung“ zu bewerten. Diese Anpassungen der Methodik haben das Ziel, neben dem Faktor Gesundheit auch den Aspekten Umwelt und Soziales in der Ernährung Rechnung zu tragen, was prinzipiell zu begrüßen ist. Doch die konkreten Kriterien, die die DGE hierfür anlegt, und die bekannt gewordenen Berechnungsmodelle haben die Fleischwirtschaft im Allgemeinen und auch die Geflügelbranche alarmiert.

Weniger als ein Gramm Geflügelfleisch pro Tag?

Der Grund: In den vorgestellten Modellierungen empfahl die DGE einen teils drastisch reduzierten Fleischverzehr. Demnach sollte jeder von uns nur noch maximal 10 Gramm Fleisch pro Tag essen, für Geflügel kam das DGE-Team sogar auf eine Empfehlung von weniger als ein Gramm pro Tag. Zum Vergleich: Die aktuell gültigen „lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen“ der DGE beinhalten einen Fleischverzehr von – je nach Intensität der körperlichen Beschäftigung – 300 bis 600 Gramm pro Woche, also bis zu 86 Gramm pro Tag.

Woher der Sinneswandel gegenüber den aktuellen, evidenzbasierten Empfehlungen des eigenen Hauses? Die fragwürdige Begründung der Forscherinnen und Forscher dafür, den Geflügelfleisch-Verzehr auf fast Null zu setzen: Zum einen seien Nährstoffe und Proteine, die das Geflügel liefern würde, schon von anderen Lebensmittelgruppen abgedeckt, die dafür einen niedrigeren Umwelt-Fußabdruck hätten. Außerdem bestehe bei der Fütterung von Geflügel eine direkte Nahrungskonkurrenz zum Menschen. Beides ist aus Sicht des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) sachlich unbegründet: Gerade die Geflügelproduktion weist im Vergleich zu anderen Fleischarten und insbesondere im Verhältnis zu den erzeugten wertvollen Nährwerten eine ausgesprochen günstige Klimabilanz auf (nachzulesen hier). Und der Mythos einer Nahrungskonkurrenz, der im Zuge der „Teller-Trog-Debatte“ immer wieder aufgewärmt wird, ist unserer Meinung nach längst entzaubert (nähere Informationen sind hier zu finden).

 Nachhaltigkeitsdimensionen unvollständig abgebildet

Entgegen ihrem Anspruch, der Multidimensionalität des Themas gerecht zu werden, hat die DGE zudem nur wenige Facetten von Nachhaltigkeit in ihre Berechnungen einbezogen: Sie betrachtet die Emissionen und die Landnutzung bei der Produktion bestimmter (tierischer) Lebensmittel – der Frischwasserverbrauch beispielsweise bei der vegetarischen oder veganen Produktion wird dagegen ausgeklammert. Und auch der Faktor „Tierwohl“ bleibt außen vor, weil er sich schlecht für die Verwendung in quantitativen Modellen „operationalisieren“ lasse. Bei beiden Kriterien kann heimisches Geflügel nachweislich punkten: einerseits durch eine moderne, ressourcenschonende Produktion und kurze Transportwege – andererseits durch eine verantwortungsvolle Geflügelhaltung mit freiwilligen Tierwohl-Standards, die mit zu den höchsten weltweit zählen.

Die Frage nach der Unabhängigkeit

All dies wirft die Frage auf: Lässt die DGE, die überwiegend von Bund und Ländern finanziert wird und projektbezogene Fördermittel erhält, sich politisch instrumentalisieren? Auffällig ist, dass die Aktualisierung der Ernährungsempfehlungen in eine Zeit fällt, in der das grün geführte Bundeslandwirtschaftsministerium an einer „Ernährungsstrategie“ arbeitet. Diese soll der Bevölkerung eine vermeintlich nachhaltigere und gesündere, „pflanzenbetonte“ Ernährung nahelegen. Die aktualisierten DGE-Ernährungsempfehlungen spielen hierbei eine wichtige Rolle, denn sie sollen in der Gemeinschaftsverpflegung verpflichtend umgesetzt werden.

Zwar beteuerte DGE-Präsident Professor Bernhard Watzl kürzlich, dass die bekannt gewordenen Richtwerte lediglich einer „Betaversion“ entstammten und sich daraus keine Rückschlüsse auf die finalen Ernährungsempfehlungen ziehen ließen. Doch es ist nicht davon auszugehen, dass die DGE bis zur Veröffentlichung der Empfehlungen Anfang 2024 abermals eine Kurswende vollzieht, die ihre Glaubwürdigkeit als unabhängige Institution zusätzlich beschädigen würde. „Es zeichnet sich bereits ab, dass die Empfehlungen zukünftig einen noch höheren Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln enthalten werden“, heißt es denn auch auf der Website der DGE zum Stand der Aktualisierung. Lebensmittel tierischen Ursprungs würden „weiterhin die Auswahl ergänzen“.

Aus Sicht des ZDG ist zu hoffen, dass sie dies auch künftig in einem Umfang tun, der der Nachfrage der Bevölkerung und insbesondere der essenziellen Bedeutung von Geflügelfleisch für eine ausgewogene und nachhaltige Ernährung Rechnung trägt. „Die Erfüllung der Referenzwerte zur Nährstoffzufuhr darf nicht in einen Zielkonflikt mit anderen Nachhaltigkeitsdimensionen geraten“, sagt Wiebke von Seggern, Leiterin des Bereichs Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz im Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). Es gelte, „eine qualitativ und quantitativ ausreichende Ernährung als Grundrecht eines jeden Menschen stets in den Vordergrund zu stellen – mit Geflügelfleisch als elementarem Bestandteil“.

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