Neue staatliche Fleisch-Labels: Was drinsteckt – und was nicht

Wir geben den Überblick und erläutern unsere Kritikpunkte an den neuen staatlichen Logos zur Lebensmittel-Kennzeichnung.

Zwei neue staatliche Logos für die Kennzeichnung von Lebensmitteln hat der Bundesrat abgesegnet. Eines davon ist leider für die meisten Landwirte keine Hilfe; das andere belegt wieder einmal die ideologisch geleitete, realitätsferne Prioritätensetzung in der Agrarpolitik. Wir geben den Überblick und erläutern unsere Kritikpunkte.

Privatwirtschaftliche Haltungskennzeichen sind im Lebensmitteleinzelhandel bei Verbraucherinnen und Verbrauchern seit langem bekannt und bewährt, in Kürze mischt auch der Staat mit: Die verpflichtende Haltungskennzeichnung für Fleisch kommt. Vorgesehen sind fünf Haltungsformstufen – von „Stall“ über „Stall+ Platz“, „Frischluftstall“, „Auslauf/Weide“ bis „Bio“. Das Label soll ab 2024, in einer betont nüchternen optischen Aufmachung, auf den Verpackungen von frischem Schweinefleisch im Einzelhandel prangen.

Gesetz mit gravierenden Lücken – Hängepartie für Geflügelhalter geht weiter

In anderen Worten: Der Geltungsbereich des staatlichen Labels bleibt vorerst sehr überschaubar – einer der häufigsten Kritikpunkte aus den Reihen der Landwirtschaft. „Wir erwarten die Einführung einer staatlichen Tierhaltungskennzeichnung, die nicht nur frisches Schweinefleisch, sondern auch die Verarbeitungsware und andere Tierarten miteinschließt“, sagt Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV). Auch der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) hält das beschlossene Paket zum Tierwohlumbau für keinen großen Wurf. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) hatte schon früh gewarnt, das lückenhafte Gesetz werde den Nutztierstandort innerhalb der EU „völlig wettbewerbsunfähig machen“ – auch, weil  ausländische Importeure im Gegensatz zu inländischen Produzenten nicht dazu verpflichtet werden dürfen, die Haltungsform zu kennzeichnen.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) verhehlt nicht, dass die Ausweitung des Haltungslabel auf weitere Tierarten und Vertriebswege folgen muss. Doch diese „Salamitaktik“ bedeutet eine Hängepartie für weite Teile der deutschen Nutztierhaltung – und ist umso problematischer, als die Bundesregierung die Erfüllung von Anforderungen an die staatliche Haltungskennzeichnung zur Bedingung dafür machen will, genehmigungsrechtliche Hürden für Stallumbauten zu senken. Geflügelhalter, die schnellstmöglich umbauen wollen, wissen also gar nicht, auf welche künftigen Anforderungen sie sich einstellen müssen. Zumal aus europarechtlichen Gründen unklar ist, ob der Bereich Geflügel von der staatlichen Kennzeichnung erfasst werden kann. Hier werden aktuell die EU-Vermarktungsnormen als Hinderungsgrund gesehen.

ITW darf nicht verdrängt werden

Aus Sicht der Geflügelwirtschaft ist deshalb umso wichtiger, dass privatwirtschaftliche Labels wie das der Initiative Tierwohl (ITW) erlaubt bleiben. Erst vor kurzem haben die ITW-Gesellschafter nach einer entsprechenden Verständigung von Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Handel bestätigt, dass das ITW-Programm auch 2024 fortgesetzt wird. Allerdings sorgt das künftige Nebeneinander von staatlichen und privatwirtschaftlichen Kennzeichnungen noch für Fragezeichen. Aus unserer Sicht darf die ITW-Kennzeichnung, bei der im Bereich Geflügel die tierwohlgerechte und bezahlbare Haltungsformstufe 2 mit Abstand dominiert, durch das Staatslabel auf keinen Fall diskriminiert werden. Auch, weil die ITW dafür sorgt, dass die Betriebe ihre Mehraufwände für mehr Tierwohl vergütet bekommen. ZDG-Geschäftsführer Schleicher: „Das Prinzip der Finanzierung über marktwirtschaftliche Mechanismen muss unbedingt erhalten und ausgebaut werden – denn der Staat wird die gewaltigen Mehrkosten der gewünschten Transformation der Tierhaltung niemals komplett aus Steuergeld finanzieren können.“

Bio-Label in der Gemeinschaftsverpflegung

Ebenfalls vom Bundesrat abgesegnet ist ein neues Kennzeichen, das den „Bio“-Anteil in Gemeinschaftsverpflegungen kennzeichnen und honorieren soll – ganz im Einklang mit der bio- und veggie-lastigen Ernährungsstrategie der Bundesregierung und dem Koalitionsversprechen von „30 Prozent Ökolandbau bis 2030″: Bei einem Bio-Anteil von 20 bis 49 Prozent (laut BMEL gemessen am „Geldwert des Gesamtwareneinkaufs der von einer Betriebseinheit bezogenen Zutaten und Erzeugnisse“) gibt es das Logo in Bronze, von 50 bis 89 Prozent in Silber und von 90 bis 100 Prozent in Gold.

„Die Agrarpolitik ignoriert mit diesem Vorhaben die Gesetze von Angebot und Nachfrage – und die Tatsache, dass sich sowohl Landwirte und Gastronomen als auch Verbraucherinnen und Verbraucher ‚bio‘ auch leisten können müssen“, kritisiert ZDG-Geschäftsführer Wolfgang Schleicher. Ebenso hält die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), Ingrid Hartges, die Vorgaben des neuen Siegels für äußerst ambitioniert. „Ob das Bio-Angebot so steigt, wie der Minister sich das vorstellt, hängt ja insbesondere von der Nachfrage der Gäste ab.“

Doch die Behauptung des Bundeslandwirtschaftsministers wackelt, dass mit der zusätzlichen Transparenz, die das Bio-Label Verbraucherinnen und Verbrauchern bringe, „die bisherige Lücke in der Gemeinschaftsverpflegung“ geschlossen werde. Aus ZDG-Sicht liegt die wahre Transparenzlücke woanders: Die Außer-Haus-Verpflegung ist tatsächlich ein enorm wichtiger Vertriebsweg – im Bereich Geflügel wird hier mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Fleisches verzehrt. Und genau dort will die Regierung nun endlich aktiv werden.

Angebotsvielfalt und Herkunftstransparenz schaffen

 Da die EU-Kommission noch immer keinen entsprechenden Vorschlag vorgelegt hat, will unser Landwirtschaftsminister jetzt selbst zur Tat schreiten. „Parallel zur Tierhaltungskennzeichnung wollen wir auch die Herkunftsbezeichnung im nächsten Schritt auf die Außer-Haus-Verpflegung ausweiten“, heißt es in einer BMEL-Pressemitteilung vom 26. Juli 2023. So sollen deutsche Höfe wettbewerbsfähig bleiben. Denn ‚Made in Germany‘ stehe für „Tierschutz, gerechte Löhne und den Schutz unserer natürlichen Ressourcen“. Ein wahnsinnig wichtiger Schritt: Bislang erfahren Gäste in der Gastronomie gewöhnlich nichts über die Herkunft von Tieren und Fleisch. Wahrscheinlich ist, dass häufig günstige Importware auf den Speisekarten und Tellern landet, bei der die Erzeugungs- und Haltungsbedingungen fragwürdig sind.

Geflügelfleisch aus deutscher Produktion hingegen ist aufgrund der hohen Standards ein Tierwohl-Versprechen. Es wird Zeit, dass sich Verbraucher bewusst entscheiden können, was sie bezahlen und auf dem Teller haben wollen. „Tierwohlgerechte und bezahlbare Spitzenqualität aus Deutschland zu unterstützen, ist aus unserer Sicht genau der richtige Schritt“, sagt ZDG-Geschäftsführer Schleicher. „Die jetzt angekündigte Herkunftskennzeichnung für den Außer-Haus-Verzehr würde den Wettbewerb fairer machen, für mehr Tierwohl sorgen und den Verbrauchern endlich die Freiheit geben, sich auch außerhalb ihrer eigenen Küche für heimisches Geflügel zu entscheiden.“

Weitere Informationen zum Thema Herkunftstransparenz und Herkunftskennzeichnung gibt es in diesem Artikel.

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