Fast jede politische Institution und Wirtschaftsbranche hat mittlerweile eine Nachhaltigkeitsstrategie. Klar ist: Wir müssen global und branchenübergreifend nachhaltig agieren, damit unser Planet lebenswert bleibt. Nicht so klar ist: Wie definiert sich das große Wort mit N? In der Debatte über die deutsche Landwirtschaft wird nachhaltig zu oft auf bio beschränkt.
Seit Jahren befindet sich die Landwirtschaft in einem kräftezehrenden Transformationsprozess, in dem die Politik große Ziele vorgibt und wenig Planungssicherheit bietet. Aktuell lässt der Krieg in der Ukraine die Preise entlang der gesamten Wertschöpfungskette explodieren, die Versorgung der energieintensiven Fleischwirtschaft mit Gas ist in Gefahr – und die Geflügelwirtschaft wird momentan zudem massiv von der Vogelgrippe-Welle belastet. Und was macht das Bundeslandwirtschaftsministerium? Einen Berater einstellen, der den Ausbau des Ökolandbaus in einem eigens geschaffenen Referat vorantreibt.
Dieser Schritt ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Regierung beim Thema Nachhaltigkeit im Kontext der Ernährungs- und Landwirtschaft vorrangig an bio denkt. Mit diesem verkürzten Verständnis und einseitigen Vorgehen steht Deutschland ziemlich allein da. „Die Welt wird unserem Verständnis nicht folgen können“, schrieb Agrarwissenschaftler Jürgen Struck bereits 2021 in einem Beitrag für die Konrad-Adenauer-Stiftung.
17 UN-Nachhaltigkeitsziele ruhen auf drei Säulen
Die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft basiert im Wesentlichen darauf, die folgenden drei Faktoren zu harmonisieren: ökologische Verträglichkeit, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Die Vereinten Nationen haben 17 globale Nachhaltigkeitsziele definiert, die auf diesen drei Säulen beruhen. Neben Zielen, die den ökologischen Aspekt im Blick haben, wie z. B. „Maßnahmen zum Klimaschutz“, sind hier auch Ziele genannt, die soziale oder wirtschaftliche Fragen betreffen: „Keine Armut“, „Kein Hunger“ oder „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“. Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit kann nur erfolgreich sein, wenn wir kontinuierlich alle ihre drei Säulen stärken.
Ernährungssicherheit für zehn Milliarden Menschen
Die wohl wichtigste Aufgabe der Landwirtschaft ist: Menschen ernähren. Rein rechnerisch kann ein Landwirt nach Angaben des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft (BZL) heute 139 Menschen mit Nahrung versorgen – dank dem technologischen Fortschritt und den damit verbundenen Effizienzsteigerungen mehr als doppelt so viele wie noch 1990.
Um den weltweiten Hunger auch in Zukunft zu stillen, muss insbesondere die konventionelle Landwirtschaft bestehen bleiben. Anders ist die Ernährungssicherheit für zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 nicht zu gewährleisten. Ein Alles-Bio-Szenario ist keine nachhaltige Lösung. Und auch der deutsche Markt braucht den Mix aus konventioneller Landwirtschaft und bio, damit Fleisch für alle Menschen bezahlbar bleibt. „Geflügelfleisch trägt zu einer ausgewogenen Ernährung bei und gehört für einen Großteil der Bevölkerung zur Ernährungstradition“, sagt ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke. „Es darf nicht durch übertriebene Regulierung und immer höhere, nicht gegenfinanzierte Haltungsansprüche der Politik zum Luxusgut werden.“
Wirtschaft braucht fairen Wettbewerb
Die Fleischindustrie ist ein etablierter Wirtschaftszweig. Sie trägt zum Wohlstand der Gesellschaft bei und bietet vielen Menschen eine Erwerbstätigkeit – allein die Geflügelwirtschaft sorgt nach Zahlen der AVEC, des Verbandes der europäischen Geflügelwirtschaft, innerhalb der Europäischen Union für über 370.000 Arbeitsplätze. Der aktuelle Kurs der deutschen Landwirtschaftspolitik, der zu oft rein ideologisch geprägt ist, gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Branche. Schon jetzt erschweren Billigimporte den Verkauf von Geflügel mit deutschen Haltungsstandards, die zu den höchsten weltweit gehören. Eine weitere Zuspitzung der Situation würde das Aus für deutsche Firmen bedeuten, der deutsche Markt mit noch mehr billigem Importfleisch geflutet. Deshalb: Höhere Haltungsstufen, bis hin zu bio, sind für heimische Landwirte nur machbar, wenn die Finanzierung dafür geklärt ist.
Nachhaltigkeit ohne Scheuklappen
Wer unmittelbar mit nachwachsenden Ressourcen wirtschaftet, hat ein natürliches Interesse daran, auch in den kommenden Jahren ausreichend Erträge zu erzielen – und einen gut funktionierenden Betrieb an die nächste Generation zu übergeben. Auch das ist eine Facette von Nachhaltigkeit.
ZDG-Präsident Ripke warnt: „Wir dürfen die landwirtschaftliche Debatte nicht mit Scheuklappen führen. Wenn wir in Zukunft über Nachhaltigkeit reden, müssen wir alle relevanten Dimensionen berücksichtigen“. Nur mit einem ganzheitlichen Denken und Handeln seien die Ziele der UN erreichbar. „Ansonsten gefährden wir die globale Ernährungssicherheit, Wohlstand und Tradition unseres Landes sowie die Zukunft der deutschen Landwirtschaft.“