Mehr Sachlichkeit gefragt: Bio-Versprechen im Realitätscheck

Wo die Öko-Nische an ihre Grenzen stößt

Der Ukraine-Krieg gefährdet die weltweite Ernährungssicherheit. Diese Krise erfordert politischen Pragmatismus statt „grünen“ Starrsinn: Was die EU verstanden hat, wird vom deutschen Agrarminister massiv bekämpft. Es wird Zeit, das Thema Öko ohne ideologische Scheuklappen zu betrachten.

Wenn es darauf ankommt, beweist das „bürokratische Monster“ eben doch Flexibilität: Als Reaktion auf den Wegfall der Ukraine als Getreidelieferant hat die EU-Kommission Lockerungen bei Umweltauflagen verlängert, die Landwirten dabei helfen sollen, die Getreideproduktion zu erhöhen. Das pragmatische Vorgehen stößt in der deutschen Bundesregierung jedoch nicht auf Gegenliebe: Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) warf der EU vor, die Verantwortung für Klima und Nachhaltigkeit auf die Mitgliedsstaaten zu verlagern. Er will auf die Lockerungen mit Verschärfungen an anderer Stelle reagieren – und hält auch am Öko-Ausbauziel aus dem Koalitionsvertrag fest: 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche sollen bis 2030 biologisch bewirtschaftet werden. Aktuell steht Deutschland bei unter zehn Prozent.

Dass es knapp wird, hat man zumindest in Bayern erkannt: Aktuell zögerten viele Betriebe beim Umstieg auf den Öko-Landbau, weil ihnen die Unsicherheiten zu groß seien, sagt Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU). Sie merkt auch: „Wir können den Ökolandbau nicht von oben herab verordnen, es braucht eine ausgewogene Balance von Angebot und Nachfrage.“

Auch aus Sicht der deutschen Geflügelwirtschaft ist mehr denn je politischer Realitätssinn gefragt – auch von einem „grün“ geführten Bundeslandwirtschaftsministerium. „Wir brauchen dringend eine ideologiefreie Auseinandersetzung mit den Heilsversprechen der Öko-Nische“, sagt Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). „Ihr Fokus auf Tierwohl und Nachhaltigkeit ist richtig und aller Ehren wert, aber die Politik sollte nicht vergessen, was die originäre Aufgabe der Landwirtschaft ist: die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung mit verantwortungsvoll produzierten, dabei erschwinglichen Lebensmitteln zu sichern.“ Das könne die Bio-Branche allein nicht leisten.

Die wichtigsten Aspekte der Öko-Debatte im Realitätscheck.

 

Umsetzbarkeit der Bio-Ausbauziele

Im November 2022 werden erstmals mehr als acht Milliarden Menschen auf der Erde leben, bis 2050 werden es 9,7 Milliarden sein. Selbst wenn die Bauern ihre Ernte jedes Jahr steigern, bräuchte es bis dahin etwa 200 Millionen Hektar Äcker und 400 Millionen Hektar Weiden und Wiesen zusätzlich, um sie zu ernähren, berichtet die „Welt am Sonntag“ unter Verweis auf die Welternährungsorganisation FAO. Gleichzeitig steigen politische und gesellschaftliche Anforderungen an den Beitrag der Landwirtschaft zum weltweiten Klimaschutz.

Die landwirtschaftliche Produktion ausbauen und gleichzeitig ihre Auswirkungen aufs Klima minimieren: Wie lässt sich das vereinbaren? Der renommierte Schweizer Agrarwissenschaftler Urs Niggli sagt: „Die besten Voraussetzungen zur Lösung dieses Problems bietet die Biolandwirtschaft.“ Aber im gleichen Atemzug stellt er fest: Die Biobauern allein können die wachsende Weltbevölkerung nicht ernähren.

Der Grund: Die Bio-Landwirtschaft generiert im Durchschnitt ein Fünftel bis ein Viertel weniger Ertrag als der konventionelle Landbau. Sollte die Weltbevölkerung bis 2050 nur mit Biolandbau ernährt werden, müssten die Ackerflächen folglich um 37 Prozent größer werden, hat Niggli berechnet. Das wiederum kann nicht im Interesse des Klimaschutzes sein, weil es massiv Lebensräume vernichten und die Artenvielfalt weiter einschränken würde. Die Schlussfolgerung, dann müsse eben die Nutztierhaltung beziehungsweise die Fleischproduktion reduziert werden, hilft allerdings auch nur bedingt weiter: Denn der gerne heraufbeschworenen „Teller-versus-Trog“-Debatte liegt der Irrtum der Nutztiergegner zugrunde, dass pflanzliche Lebensmittel und Nutztiere in Konkurrenz zueinander stünden. Warum das nicht stimmt, lesen Sie hier.

 

Bezahlbarkeit von Bio-Produkten 

Auch wenn sie sich in Umfragen anders äußern: In der Realität kaufen Verbraucher in erster Linie preissensitiv ein. Seit die Folgen von Rohstoff-Engpässen und Ukraine-Krieg voll auf die Preise in der Euro-Zone durchschlagen, hat sich dieses Phänomen, das „Bürger-Konsumenten-Lücke“ genannt wird, nochmals verstärkt.

Einer Umfrage im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) und des Lebensmittelverbands Deutschland nehmen Verbraucher beim Einkauf für Ersparnisse sogar Abstriche beim Geschmack in Kauf. Speziell Deutschlands Bio-Fachläden hätten in den ersten drei Monaten dieses Jahres wieder deutlich weniger Ware als im Vorjahreszeitraum verkauft, so der Bundesverband Naturkost Naturwaren. Auch der GfK Consumer Index verzeichnet für die ersten fünf Monate des Jahres 2022 einen deutlichen Umsatzrückgang von 3,2 Prozent. 

Zwar kaufen die Bürger ihre Bio-Produkte nach Angaben des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) dafür vermehrt in günstigeren Discountern und Supermärkten. Davon, dass Bio „im Mainstream angekommen“ ist, wie einzelne Medien berichten, kann freilich nicht die Rede sein: Im Jahr 2019 haben Bio-Produkte gerade einmal 5,7 Prozent Anteil am Lebensmittelmarkt in Deutschland erzielt, in der Corona-Pandemie hatte die Nachfrage zuletzt (nur) temporär zugelegt.

Die Politik sollten die Ausweichreaktionen der Bevölkerung alarmieren: Die Preissteigerungen überfordern sie offenbar schon jetzt. Bereits vor Monaten hatte eine Umfrage im Auftrag des ZDG ergeben, dass die  Mehrheit der Bevölkerung nicht bereit ist, teures Bio-Fleisch für über 20 Euro pro Kilo zu kaufen.  Sie in immer höhere Haltungsstufen hineinzuzwingen, die sich viele einfach nicht leisten können, verbietet sich jetzt erst recht.

Im Bereich Geflügel gibt es übrigens eine tierwohlgerechte und dabei erschwingliche Alternative: 90 Prozent der Nachfrage kommt aus der Haltungsstufe 2 der Initiative Tierwohl. Soll es weitere Tierwohlfortschritte und höhere Haltungsstufen geben, können die Kosten dafür nicht bei den Bürgern abgeladen werden, zumal eine nachhaltige Veränderung des Verbraucherverhaltens Zeit benötigt. Und auch die ohnehin bereits stark belasteten Erzeuger dürfen mit den Milliardenkosten der Transformation nicht alleingelassen werden. Der Staat ist in der Pflicht, hier einen nennenswerten Beitrag zu leisten!

 

Tierwohl und Klimaschutz: Bei Bio mitnichten „inklusive“

Der Nischen-Erfolg des Bio-Segments beruht nicht zuletzt darauf, dass für den Verbraucher mitschwingt: Was Öko und teuer ist, muss auch gut fürs Tierwohl und fürs Klima sein.

Das trifft allerdings so pauschal nicht zu. Über die Haltung von Tieren trifft die Kennzeichnung „ökologische Landwirtschaft“ zunächst einmal gar keine Aussage – also beispielsweise auch nicht darüber, wie viel Auslauf, Platz oder Zuwendung die Tiere bekommen. Hier ist wichtig zu wissen: Freilandhaltung ist zum Beispiel auch mit höheren Risiken durch Umwelteinflüsse, Schädlinge und Tierseuchen verbunden. Gleichzeitig steigen dadurch, dass die Tiere draußen sind, die CO2- und weitere Schadstoff-Emissionen, die bei Stallhaltung durch hochmoderne Lüftungsanlagen gefiltert würden. In diesem grundlegenden Zielkonflikt zwischen dem Tierwohl und dem Klimaschutz werden heimische Tierhalter zerrieben – und können ihn nicht lösen, solange die Politik hier keine pragmatische Priorisierung vornimmt.

Allerdings fällt die CO2-Bilanz speziell bei Geflügelfleisch bei sachlicher Betrachtung ohnehin vorteilhafter aus, als Medienberichte und kernige Statements von per se tierhaltungsskeptischen NGOs glauben machen. Mehr zur wahren Klimabilanz von Geflügel lesen Sie hier.

Laut, bunt, dialogbereit: Die Geflügelwirtschaft auf der AMK

Laut, bunt, dialogbereit: Die Geflügelwirtschaft auf der AMK

Deutsche Geflügelhalter zeigten Flagge bei Demonstrationen am Rande der Agrarministerkonferenz in Kiel
Pflanzliche und tierische Proteine sind nicht einfach austauschbar!

Pflanzliche und tierische Proteine sind nicht einfach austauschbar!

Einzelne Politiker rufen die "Protein-Revolution" aus - und verkennen die einzigartigen Eigenschaften tierischen Proteins sowie die Realitäten in der Beschaffung vermeintlicher Alternativen
Politisches Frühstück: Dialog für den Umbau der Nutztierhaltung

Politisches Frühstück: Dialog für den Umbau der Nutztierhaltung

Konstruktiver Austausch zu den geplanten Putenmast-Standards und anderen drängenden Themen
Weitere Inhalte entdecken
Mehr
Anzeigen
Datenschutzeinstellungen Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell, während andere uns helfen, diese Website und Ihre Erfahrung zu verbessern. Datenschutzeinstellungen