Umbau der Tierhaltung

Die geplante verbindliche Tierwohlkennzeichnung muss so gestaltet sein, dass sie den Namen verdient

Die ersten Eckpunkte des Bundeslandwirtschaftsministeriums für ein verbindliches Kennzeichnungssystem sind zu wenig passgenau: Sie fokussieren auf Haltungs- statt auf Tierwohlaspekte. Unsere Handlungsempfehlungen im Überblick.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) plant bei der verbindlichen staatlichen Kennzeichnung ein vierstufiges System, das sich am Modell der Eierkennzeichnung (sog. KAT-System) orientiert: Die Stufe 0 steht für „Bio“, Stufe 1 für „Auslauf“, 2 für „Außenklima“ und 3 für „Stall“. Dabei handelt es sich noch um ein Eckpunkte-Papier des Bundesministeriums und nicht um einen im Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf. Dieser muss nach Geschäftsordnung vorher auch noch durch den Koalitionsausschuss, und unsere Hoffnung ist, dass die FDP und möglicherweise auch die SPD ihrer Verantwortung nachkommen und den Entwurf so nicht passieren lassen.

Die Verwunderung über den Özdemir-Vorschlag ist allgemein groß, denn bislang galt das im Lebensmitteleinzelhandel bereits breit etablierte System der Initiative Tierwohl (ITW) als Vorbild – mit den Stufen „Stallhaltung“ (1), „Stallhaltung Plus“ (2), „Außenklima“ (3) und „Premium“ (4). Auch das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, bekannt als Borchert-Kommission, orientiert sich daran in seinem detaillierten Umbaufahrplan: Die Stallhaltung Plus sollte in einem dreistufigen System zum Mindeststandard der Stufe 1 werden, die über dem Gesetzesstandard und auch über dem ITW-Standard liegen soll. 2030 und 2040 kämen dann schrittweise die nächsten Kriterien-Steigerungen, und die Praxis könnte sich planungssicher und rechtzeitig darauf vorbereiten. Dieser vorgezeichnete Weg ist alternativlos, und Bundesminister Özdemir kann ihn, wenn er davon abweicht, nur schlechter und zum Irrweg machen.

Bedarf für Nachbesserungen

Der Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), Friedrich-Otto Ripke, findet klare Worte zu den bisherigen Ministeriumsplänen: „Wir können die Vorschläge so nicht mitgehen, weil wir damit nicht die ambitionierte Tierhaltungskennzeichnung bekommen, für die wir seit Jahren einstehen und die wir schon sehr breit praktizieren“. Der Grund: Die Kategorie „Stall“ würde durch Özdemir in der Wahrnehmung des Verbrauchers zum untersten Standard degradiert, obwohl hier differenziert werden muss – auch in Ställen ist eine tierwohlgerechte Haltung möglich und in der Geflügelhaltung auch üblich. Ripke weiter: „Die Ampelkoalition hat sich vorgenommen, Tierwohl zu fördern. Aber wer, wie offensichtlich Teile der Grünen, starr nach Haltungsformen einsortieren will, erweist der Sache einen Bärendienst.“

Die zentralen Argumente im Einzelnen:

1. Warum die Eierkennzeichnung nicht als Vorbild bei Fleisch taugt

Die niedrigste Qualitätsstufe 3 im EU-weit gültigen KAT-System sind Eier aus Käfighaltung. Mit dieser negativ konnotierten Bezeichnung war von Anfang an das politische Ziel verbunden, diese Haltungsform schnell zu überwinden, was auch gelungen ist. Beim Fleisch sind die Haltungsformen anders kategorisiert, und der Begriff „Stall“ hat hier eine andere Bedeutung: So fallen bereits mehr als 80 Prozent des hierzulande erzeugten Hähnchen- und Putenfleischs in die Haltungsformstufe 2 („Stallhaltung Plus“) der ITW – mit deutlich mehr Platz in den Ställen und umgeben von organischem Beschäftigungsmaterial wie z.B. Stroh und Picksteinen.

ZDG-Präsident Ripke sagt: „Wenn dieses Tierwohlfleisch künftig in einer allgemeinen und stark stigmatisierenden Kategorie ‚Stall‘ untergeht, sind alle bisherigen Anstrengungen zunichtegemacht, möglichst viele Verbraucher bei den Fortschritten mitzunehmen.“ Sie kaufen diese Lebensmittel mit ihrem akzeptablen Aufpreis seit Jahren bewusst.

Auch die Tierhalter, die eigenes Geld in die Hand genommen haben, werden enttäuscht und trotzig reagieren. Trotz hieße in diesem Fall: Rückkehr zur Produktion unter dem alten Gesetzesstandard mit höheren Tierzahlen. In der Folge wird dann wiederum die Politik versucht sein, die Vorgaben drastisch anzuheben. „Das wäre das Ende der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Nutztierhaltung und damit auch der Offenbarungseid für die nationale Versorgungssicherheit mit tierischen Lebensmitteln“, betont Präsident Ripke: „Ein solcher Teufelskreis darf niemals in Gang kommen!“

2. Warum Tierwohl in der Stallhaltung sichtbar werden muss

Stattdessen muss es auch im geplanten staatlichen Kennzeichnungssystem eine Stufe geben, die den Stall-Plus-Gedanken des bisher freiwilligen Systems aufnimmt: Die Tiere wachsen zwar im Stall auf, aber unter Bedingungen, die deutlich über den gesetzlichen Vorgaben liegen. Ein entscheidender Faktor ist der Platz. In der aktuellen „Stallhaltung Plus“-Stufe sind als maximale Besatzdichte für Hähnchen 35 kg/m2 festgelegt. Damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. In der Borchert-Kommission und in der ITW laufen Planungen, die Besatzdichte weiter zu senken – wahrscheinlich auf 33 kg/m2 bei Hähnchen. Gegenüber der EU-Norm, die bei 42 kg/m2 liegt, hätte ein Tier in Deutschland im Schnitt rund 30 Prozent mehr Platz. „Wir legen beim Tierwohl gerade in dieser Stufe den Schwerpunkt, denn sie wird auch in den nächsten Jahren sicher die breiteste Kauf-Akzeptanz finden“, sagt Ripke: „Für viele Verbraucher mit kleinerem Geldbeutel sind diese Produkte vom Preisniveau  noch leistbar und die aktuell weiter steigende Inflationsrate wird die Nachfrage nach teuren Lebensmitteln der hohen Stufen und auch nach Bio-Produkten spürbar begrenzen.“

Diese Entwicklung hat aktuell messbar schon begonnen! Auch Bundesminister Özdemir darf dies nicht ignorieren und muss ein Interesse daran haben, ein Kennzeichnungssystem für die Breite mit großer Menge zu schaffen und nicht in einer kleinen Nische stecken zu bleiben. Er muss auch bedenken, dass mit den höheren Kennzeichnungsstufen geringere Tierzahlen verbunden sind. Im Geflügelbereich gibt es schon jetzt keine nationale Selbstversorgung mehr und jede Steigerung in diese Richtung löst nachteilige Importe aus.

3. Warum „Bio“ per se keine Tierwohlkategorie ist

Für die Ökoverbände ist es ein lang gehegter Wunsch, eine eigene Haltungsstufe auch bei Fleisch zu erhalten. Davon war womöglich auch das grüne Bundeslandwirtschaftsministerium bei der Formulierung seiner Kennzeichnungs-Eckpunkte geleitet. Nur: Von Sachgründen ist das Ansinnen nicht gedeckt. Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung hat detaillierte Tierwohlkriterien für jede Stufe erarbeitet und vorgeschlagen, die höchste Kategorie weiter mit dem Begriff „Premium“ zu kennzeichnen. „Bio“ wählten die Experten bewusst nicht, auch wenn sie attestieren, dass „Premium“ sich weitgehend an den Haltungskriterien des ökologischen Landbaus orientieren soll. Warum? Weil Bio nicht automatisch und pauschal mit mehr Tierwohl verbunden ist. Wir und die Wissenschaft wissen, dass zum Beispiel Freilandhaltung auch mit höheren Risiken durch Umwelteinflüsse, Schädlinge und Tierseuchen verbunden ist.  ZDG-Präsident Ripke: „Die höchste Qualitätsstufe beim Fleisch muss deshalb auch für Produkte aus konventioneller Erzeugung geöffnet sein, wenn sie die definierten Tierwohlanforderungen erfüllen.“

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