Der Mythos von der fleischlosen Republik

Klassische und soziale Medien vermitteln das Bild, dass Vegetarier und Veganer in Deutschland gefühlt schon bald in der Mehrheit sind. Weit gefehlt: Die allermeisten Deutschen wollen sich bewusst ernähren und dabei nicht auf Fleisch verzichten.

Ein eindeutiges Votum auf eine einfache Frage. Im Herbst vergangenen Jahres wollte das digitale Markt- und Meinungsforschungsinstitut Civey von regelmäßigen Fleischessern und Flexitariern (Menschen, die sich überwiegend vegetarisch ernähren, gelegentlich aber auch hochwertiges Fleisch essen) wissen, ob sie für mehr Klimaschutz und Tierwohl bereit wären, komplett auf Fleisch zu verzichten: Eine überwältigende Mehrheit von 80 Prozent lehnte dies ab. Nur 15 Prozent der Befragten waren zum Verzicht bereit, der Rest zeigte sich unentschieden.

Interessant auch die Detailergebnisse: In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen war der Wunsch nach Fleischkonsum sogar am stärksten. Hier stimmten 85 Prozent gegen die komplette Enthaltsamkeit. „Die Menschen drängen auf Fortschritte bei Tierwohl und Klimaschutz statt auf Verzicht“, fasst ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke die Repräsentativumfrage im Auftrag der Geflügelwirtschaft zusammen: „Wir sehen breite Unterstützung für unser Anliegen, einen starken Fleischstandort Deutschland zu erhalten und mit zukunftsweisenden Standards ein Vorbild für andere Länder zu setzen.“

Fleischverzicht zumeist aus Neugier

Ohne Frage: Vegane und vegetarische Ernährung liegen im Trend. Der Anteil der Menschen, die auf tierische Lebensmittel verzichten, hat sich 2021 binnen eines Jahres zwar verdoppelt, wie der Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zeigt. Allerdings findet der Boom in niedrigen Prozentbereichen statt. Der Anteil der Vegetarier stieg von fünf auf zehn Prozent, bei Veganern ging es von einem auf zwei Prozent hoch. Gefragt nach den Gründen, liegt die Neugier (71 Prozent) deutlich vorne, erst dann folgen Tierwohl (59 Prozent), Geschmack (56 Prozent) und Klima/Umwelt (54 Prozent).

Mitentscheidend für die weitere Entwicklung wird sein, wie junge Erwachsene als zukünftige Marktteilnehmer und -entscheider zum Fleischkonsum stehen. Schon die eingangs zitierte Civey-Befragung brachte ein überraschendes Votum gerade in dieser Altersgruppe, künftig weiter Fleisch zu essen. Der 2021 veröffentliche „Jugendreport zur Zukunft der nachhaltigen Ernährung“ wirft noch einen genaueren Blick auf Einstellungen und Verhaltensweisen. Hier wurden knapp 1.500 junge Erwachsene zwischen 15 und 29 Jahren befragt.

Autoren und Auftraggeber sind unverdächtig, den Interessen der Fleischbranche das Wort zu reden. Die Studie wurde unter anderem vom angesehenen Lehrstuhl „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ der Universität Göttingen erstellt. Initiator war die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung.

Indizien für „Lebensabschnittsvegetarier“

Die wesentlichen Befunde zum Fleischkonsum: Knapp 64 Prozent der Befragten bezeichnen sich als omnivor, essen also alles, auch Fleisch und Fisch. 24 Prozent ernähren sich flexitarisch. Gut 12 Prozent geben an, sich fleischlos zu ernähren – das sind in der jungen Altersgruppe kaum mehr, als das Bundeslandwirtschaftsministerium im Ernährungsreport für die Gesamtbevölkerung ermittelt hat. Nichts wäre nach diesen Daten sachlich falscher, als von einer Jugend auf dem Fleischlos-Trip zu reden.

Bemerkenswert auch: Nur 13 Prozent unterstützen die Forderung nach einer veganen Gesellschaft ohne Nutzung von Tieren für die Fleisch- und Milchproduktion. Die Pläne für die Zukunft zeigen keine extremen Reduktionsabsichten zum Fleischkonsum. Aus der größten Gruppe der omnivoren Esser will ungefähr ein Drittel den Fleischkonsum reduzieren. Aber nur 0,2 Prozent nennen den kompletten Fleischverzicht als künftiges Ziel – gut vier Prozent wollen sogar mehr Fleisch essen. Weil viele Flexitarier und fleischlose Esser ihre Ernährung innerhalb des letzten Jahres umgestellt haben, spekulieren die Studienautoren über „Lebensabschnittsvegetarier/-veganer“. Das hieße: In späteren Jahren, mit gesicherten Einkommen und in festeren sozialen Bindungen, könnten etliche wieder zu Fleischessern werden.

Branchenpräsident Ripke bilanziert: „Die Politik tut gut daran, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten und die Eliminierung der Tierhaltung zu propagieren. Die Menschen wollen und wertschätzen Fleisch, wenn es in allen Dimensionen verantwortungsvoll erzeugt ist. Unsere Geflügelhalter und die gesamte Branche sind bereit, die weiteren Veränderungen und Verbesserungen an vorderster Stelle mit anzugehen.“

Ist eine vegane Ernährung wirklich gesünder?

Ist eine vegane Ernährung wirklich gesünder?

Vegane Lebensmittel gelten als gesund und nachhaltig. Wir sehen genauer hin.
Tierwohl-Cent: Juristisch kaum durchführbar

Tierwohl-Cent: Juristisch kaum durchführbar

Die Bauerndemonstrationen mit Zehntausenden von Landwirten haben eine Diskussion über die Agrarpolitik ausgelöst. Um was es geht.
„Endlich: Cem Özdemir will einen Putenbetrieb besichtigen!“

„Endlich: Cem Özdemir will einen Putenbetrieb besichtigen!“

Auf der Agrarministerkonferenz in Kiel hat die deutsche Putenwirtschaft ihren Sorgen um die Zukunft der heimischen Produktion Ausdruck verliehen. Putenhalterin Gräfin von Spee berichtet im Interview von der Stimmung vor Ort.
Weitere Inhalte entdecken
Mehr
Anzeigen
Datenschutzeinstellungen Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell, während andere uns helfen, diese Website und Ihre Erfahrung zu verbessern. Datenschutzeinstellungen