Chronologie der Herkunfts-Versprechen: Ist der Bann gebrochen?

Bei der im Koalitionsvertrag versprochenen "umfassenden Herkunftskennzeichnung" wartet die Bundesregierung bis heute vergeblich auf einen Entwurf aus Brüssel - und geht jetzt endlich national voran!

Die EU-Kommission liefert bald einen einheitlichen Entwurf für eine erweiterte Herkunftskennzeichnung – und wenn sie es nicht tut, kümmern wir uns selbst: So hat das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) sich lange Zeit positioniert. Die EU hat bis heute nicht geliefert, endlich geht die Bundesregierung nun national voran – auch im Bereich Außer-Haus-Verzehr. Ist das der Durchbruch?

Basis aller Regierungsversprechen – und damit die „Mutter“ der Ankündigungen der aktuellen Regierung zur Herkunftskennzeichnung – ist der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP aus dem Herbst 2021. Dort heißt es auf Seite 34„Wir führen ab 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, die auch Transport und Schlachtung umfasst. Unser Ziel sind entsprechende verbindliche EU-weit einheitliche Standards. Zudem führen wir eine umfassende Herkunftskennzeichnung ein.“

Und wie steht es mit der Umsetzung? Zwar hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) im Oktober angekündigt, dass künftig auch bei nicht-vorverpacktem Fleisch auf Wochenmärkten, an Fleischtheken und in Metzgereien die Herkunft verpflichtend gekennzeichnet werden soll (der nationale Verordnungsentwurf ist hier zu finden), von der versprochenen „umfassenden Kennzeichnung“ konnte bis dato aber keine Rede sein: Der EU-weite Entwurf, auf den Berlin hierfür setzt, steht bis heute aus.

Die untenstehende Chronologie der Ankündigungen macht deutlich, dass sich die Bundesregierung hat sich viel zu lange von Brüssel hinhalten lassen. Doch jetzt (Stand: Juli 2023) kommt endlich Bewegung in die Sache!

 

August 2022: Die Terminankündigung

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema „Verbindliche Tierhaltungskennzeichnung und umfassende Herkunftskennzeichnung“ schreibt die Bundesregierung: „Im Bereich der Herkunftskennzeichnung unterstützt die Bundesregierung grundsätzlich die Pläne der Europäischen Kommission, die verpflichtende Herkunftskennzeichnung auf weitere Lebensmittel auszuweiten und beteiligt sich an den laufenden Konsultationen der Kommission. (…)“

Auf die Frage, wann die Bundesregierung hierfür mit Vorschlägen der EU-Kommission rechne, heißt es: „Die Bundesregierung rechnet mit der Vorlage eines Legislativvorschlags durch die Europäische Kommission, wie von dieser angekündigt, bis Ende 2022.

 

November 2022

Im Podcast „Spitz die Löffel“ sagt Agrarminister Özdemir: „(…) Und ich hätte natürlich auch gerne, dass man nicht nur eine Haltungskennzeichnung hat, sondern auch eine Herkunftskennzeichnung bekommt. (…) Dann hat man glaube ich maximale Transparenz. Auch da setze ich mich in Brüssel dafür ein und ich habe aber auch klar gesagt, wenn dieses Jahr aus Brüssel die Herkunftskennzeichnung nicht kommt, dann gehen wir national voran.“

 

Dezember 2022: Terminverschiebung Nr. 1

Das Bundeslandwirtschaftsministerium rechnet offenkundig nicht mehr mit einer Vorlage des EU-Entwurfs im gleichen Jahr. Die Herkunftskennzeichnung kann aller Voraussicht nach „Anfang kommenden Jahres“ kommen, zitiert top agrar den Minister. Weiter heißt es, dies habe er sich „von EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides persönlich bestätigen lassen“.

Auch in einem Video auf Twitter sagt Özdemir zu Herkunftskennzeichnung: „Brüssel hat uns zugesagt, dass Anfang nächsten Jahres der Entwurf kommen soll. Wir unterstützen das. Gleichzeitig tun wir national das, was möglich ist, um die Lücken zu schließen.“

 

10. Februar 2023: Terminverschiebung Nr. 2

„Der Zeitplan von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemirs Tierwohlumbau gerät womöglich ins Stocken, denn Brüssel lässt die Zügel bei der europäischen Herkunftskennzeichnung schleifen“, meldet top agrar. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es bis mindestens Mitte dieses Jahres keinen Gesetzentwurf der EU-Kommission zum Thema Herkunftskennzeichnung geben.“

Auch beim Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt heißt es: „Anders als von Özdemir noch gegen Ende des vorigen Jahres angekündigt, wird die Vorlage eines EU-Vorschlags aller Voraussicht nach nicht mehr in den kommenden zwei Monaten erfolgen. (…) Allerdings vermieden verschiedene Kommissionsbeamte auf Anfrage eine klare Festlegung, ob und wann mit einem Brüsseler Gesetzentwurf zu rechnen ist.“

Eine genaue Prognose traut sich jetzt in Deutschland offenbar keiner mehr zu, stattdessen wird eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums damit zitiert, dass die Kommission Ressortchef Özdemir eine Zusage gegeben habe, „2023 einen Legislativvorschlag für die Ausweitung der Herkunftskennzeichnung auf weitere Lebensmittel vorzulegen“.

Das DGS-Magazin berichtet unter Berufung auf den Nachrichtendienst Agra-Europe, die federführende Generaldirektion für Lebensmittelsicherheit (DG SANTE) sei nach wie vor mit der Ausarbeitung einer endgültigen Folgenabschätzung beschäftigt. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt laufen die technischen Arbeiten im Hinblick auf die Sammlung zusätzlicher Erkenntnisse.“ Bekanntlich werde „erst danach der finale Entwurf für ein Gesetz zur Herkunftskennzeichnung erstellt“.

 

17. Februar 2023: Terminverschiebung Nr. 3

Unter Berufung auf Kommissionskreise berichten Medien, dass sich eine Veröffentlichung des Entwurfs „für das vierte Quartal 2023“ abzeichne.

Nun reicht es offenbar auch dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Eine Sprecherin wird mit der Aussage zitiert, „Deutschland werde nicht länger auf Brüssel warten, sondern strebe eine nationale Regelung an. (….) Gleichzeitig werde sich Minister Cem Özdemir weiter für eine einheitliche europäische Regelung einsetzen“, so Agra-Europe weiter.

 

März 2023: Termin unklar

Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat seine Informationen und Formulierungen bezüglich einer Herkunftskennzeichnung in den vergangenen Monaten immer wieder angepasst. Aktuell steht dort (Stand 25. März 2023) unter dem Punkt „Die nächsten Schritte“:

„Zur Frage der konkreten Ausgestaltung neuer Herkunftsangabe werden wir die Folgenabschätzung der Kommission und die Erfahrungen und Stellungnahmen der betroffenen Akteure für die weiteren Diskussionen auf EU-Ebene berücksichtigen. Für den Fall, dass eine EU-Regelung nicht gelingt, wird BMEL eine nationale Regelung auf den Weg bringen.“

Dazu, wie genau die „nationale Regelung“ aussehen soll – und wann sie kommt –, hat es seit dem 17. Februar keine weitergehenden Informationen gegeben.

 

Mai 2023: Nun doch wieder EU – und ein neuer Zeitplan

Auf einer Veranstaltung in Berlin macht der Bundeslandwirtschaftsminister deutlich: Er wartet weiter auf Brüssel. Die nationale Ausweitung der Herkunftskennzeichnung auf loses Fleisch in Metzgereien und an Fleischtheken reiche ihm nicht aus, sagt Cem Özdemir. Er wolle „EU-weit einheitliche Regeln“ und setze sich deshalb „mit Nachdruck“ für eine EU-weite Herkunftskennzeichnung ein. Er sei gerade dabei, erneut Bündnispartner in Europa dafür zu suchen, um das möglichst noch vor den Wahlen zum EU-Parlament, womöglich innerhalb der spanischen EU-Ratspräsidentschaft auf den Weg zu bringen.

Zur Einordnung: Spanien übernimmt den Ratsvorsitz im Zeitraum von Juli bis Dezember 2023, die Wahlen zum EU-Parlament finden im Frühjahr 2024 statt.

24. Mai 2023: Ein bisschen Eigeninitiative – und immer mehr EU-Frust

Das Bundeskabinett stimmt zu, dass die nationale (auf EU-Recht zurückgehende) verpflichtende Herkunftskennzeichnung für Fleisch im Lebensmitteleinzelhandel auf unverpackte, unverarbeitete Ware ausgeweitet wird. Das heißt: Voraussichtlich ab Anfang 2024 muss z.B. auch an Fleischtheken, in Metzgereien oder auf Wochenmärkten ausgewiesen sein, woher das Fleisch kommt.

Das kann aber noch nicht alles sein, wenn es um die im Koalitionsvertrag versprochene umfassende Herkunftskennzeichnung geht – das gesteht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir selbst ein. In einer Pressemitteilung seines Ministeriums heißt es: „Leider hat die EU-Kommission entgegen ihrer Ankündigung noch immer keinen Vorschlag für eine EU-weite, umfassende Herkunftskennzeichnung vorgelegt.“ Deshalb werde man „nun eine Regelung für Deutschland erarbeiten“, heißt es weiter. Konkrete Angaben zum Zeitplan gibt es nicht.

Juni 2023:  EU-Entwurf nicht vor Juni 2024?

Beim Warten auf einen Vorschlag der EU zur Ausweitung der Herkunftskennzeichnung gehe ihm allmählich die Geduld aus, gibt der Pressedienst Agra Europe Äußerungen Cem Özdemirs wieder. Er forderte demnach auf einer Veranstaltung  nicht näher genannte „agrarpolitische Akteure“ auf, ihrerseits Druck auf die EU zu machen. Er selbst sei mittlerweile nicht mehr sicher, ob noch vor der Europawahl im Juni 2024 ein Vorschlag zur Herkunftskennzeichnung präsentiert werde, schreibt Agra Europe. EU-Kommissionskreise werden mit der Aussage zitiert, man sei „frühestens im Herbst so weit“, einen Regelungsentwurf zu veröffentlichen.

Update 26. Juli 2023: „Özdemir will Ausweitung auf Außer-Haus-Verpflegung“, schreibt das BMEL

Die Pressemitteilung des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) zur Billigung der erweiterten Herkunftskennzeichnung im LEH durch das Bundeskabinett und dem weiteren Vorgehen zur Haltungskennzeichnung enthält auch diese denkwürdige Passage:

„Parallel zur Tierhaltungskennzeichnung wollen wir auch die Herkunftsbezeichnung im nächsten Schritt auf die Außer-Haus-Verpflegung ausweiten. Leider hat die EU-Kommission entgegen ihrer Ankündigung weiterhin keinen Vorschlag für eine EU-weite Regelung vorgelegt. Auch andere Mitgliedstaaten haben bereits nationale Regelungen getroffen. Unsere Landwirtinnen und Landwirte – gerade mit kleinen und mittelgroßen Höfen – brauchen die Chance, am Markt bestehen zu können. ‚Made in Germany‘ ist auch beim Fleisch ein von den Verbraucherinnen und Verbrauchern anerkanntes Qualitätsmerkmal: Es steht für Tierschutz, gerechte Löhne und den Schutz unserer natürlichen Ressourcen.“

Hierzu kommentiert ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke:  „Das ist ein wichtiger Schritt und eine starke Anerkennung für alle deutschen Tierhalter. Bitte daher zügig umsetzen – wir unterstützen jederzeit gerne!“

 

 

 

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