Bauernproteste: Um was es wirklich geht

Die Bauerndemonstrationen mit Zehntausenden von Landwirten haben eine Diskussion über die Agrarpolitik ausgelöst. Um was es geht.

Die Bauerndemonstrationen mit Zehntausenden von Landwirten haben viel Sympathie in der Gesellschaft erzeugt und eine Diskussion über die Agrarpolitik ausgelöst. Die Politik hat sich dialogbereit gezeigt. Leider bleiben die bisherigen Ergebnisse aber hinter den Erwartungen der Branche zurück. Es geht nämlich um viel mehr, als nur den Agrardiesel.

Im Hinblick auf die öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Anliegen war die Aktionswoche „Agrardiesel“ des Deutschen Bauernverbandes Anfang Januar ein voller Erfolg. Mehrere Tage lang war in den Tageszeitungen und in den Hauptnachrichten der Fernseh- und Radiosender dieses Thema ganz vorne mit dabei. Doch bei der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 18. Januar beschlossen die Vertreter der Regierungsparteien trotzdem, die Agrardiesel-Rückvergütung ab März 2024 über drei Jahre auslaufen zu lassen. Der Deutsche Bauernverband kündigte daraufhin die Fortsetzung der Proteste an.

Landwirte leiden unter zunehmender Bürokratielast

Eine Erklärung, warum die Proteste so heftig ausfallen, lieferte Bundesminister Cem Özdemir während der Grünen Woche selbst: Die aktuelle Bundesregierung habe bereits ein „Fass voller Sorgen“ bei den Landwirten vorgefunden und selbst noch mehr hineingeschüttet. Nun sei es übergelaufen. Doch die Lösung, die Özdemir und andere Vertreter der Bundesregierung nun vorrangig präsentieren, nämlich Bürokratieabbau, geht am eigentlichen Problem vorbei.

Zwar unterstützen alle Landwirte die Forderung nach Bürokratieabbau. Über die letzten Jahre hat sich aber gezeigt, dass nicht einmal hochrangig besetzte Expertengremien zum Bürokratieabbau halten können, was sie versprechen. So leitete beispielsweise der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber acht Jahre lang, bis Ende 2015, eine sogenannte „High-level group“ zum Bürokratieabbau auf EU-Ebene. Doch für die Landwirte in Deutschland kam es dadurch zu keinen nennenswerten Entlastungen.

Landwirte wollen mit ihrer Arbeit am Markt Geld verdienen

Vorrangiges Ziel der Landwirte ist daher nicht der Abbau von Bürokratie, sondern, mit ihrer Arbeit am Markt genug Geld zu verdienen, um davon leben und ihre Betriebe weiterentwickeln zu können. Hier versetzt gerade die Abschaffung des Agrardiesels einen Schlag. Wie ein Faktencheck des Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatts zeigt, ist der Preis für Diesel in der deutschen Landwirtschaft bereits im oberen Mittelfeld eines europäischen Preisvergleichs – netto rund 1.270 € je 1.000 Liter. Der Durchschnittspreis für Agrardiesel beträgt in der EU-27 lediglich 1.058 € je 1.000 Liter. Nach der Abschaffung hätten deutsche Landwirte den zweitteuersten Agrardiesel in der EU und müssten rund 1.700 € bezahlen: Ein massiver Wettbewerbsnachteil.

Die Gemeinsame EU-Agrarpolitik braucht einen Neuanfang

Ein dringender Wunsch der deutschen Landwirte ist es daher, dass Benachteiligungen im europäischen Wettbewerb beendet werden. Dazu müssen einerseits nationalbenachteiligende Regeln abgeschafft und andererseits unfaire Vorteile für andere EU-Staaten beendet werden. „Ohne Reset bei agrarpolitischen Fragestellungen auf EU-Ebene werden keine spürbaren Entlastungen für die Betriebe eintreten! Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU ist ausreformiert und ist von Grund auf neu zu konzipieren“, erklärt Wolfgang Schleicher, Geschäftsführer des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) gegenüber Geflügelnews.

Gleichzeitig ist es notwendig, unfaire Marktverwerfungen im Bereich der Handelspolitik zu beenden. So drängen derzeit beispielsweise zollfreie Agrarerzeugnisse aus der Ukraine massiv auf den deutschen Markt und destabilisieren so den Geflügelfleischsektor. Allein in den ersten 8 Wochen des Jahres 2023 lagen die Einfuhren fast 100 % über denen des Vorjahreszeitraums (nähere Informationen gibt es hier). Schlachthöfe auch in anderen EU-Staaten berichten von hohem Preisdruck auf dem Masthähnchenmarkt (nähere Informationen gibt es hier). Die deutsche Geflügelwirtschaft ist geeint in der Ablehnung des russischen Überfalls auf die Ukraine. Doch Hilfsmaßnahmen der EU dürfen nicht überproportional zu Lasten einzelner Branchen gehen.

Verlässliche Rahmenbedingungen müssen umgesetzt, nicht nur angekündigt werden

Schließlich müssen nationale Großprojekte im Bereich der Landwirtschaft, insbesondere der Umbau der Tierhaltung, auf eine Weise umgesetzt werden, bei der Landwirte am Markt für ihre Bemühungen entlohnt werden. Der vielfach bekundete Respekt der Verbraucherinnen und Verbraucher für die Landwirtschaft darf sich nicht nur in freundlichen Worten, sondern muss sich an der Ladenkasse äußern. „Dazu braucht es keine neuen Abgaben wie den Tierwohl-Cent, sondern verlässliche Rahmenbedingungen“, betont der ZDG-Geschäftsführer. Wie er vermutet, werden sich die erhitzten Gemüter in der Landwirtschaft daher erst wieder beruhigen, wenn die Landwirte das Gefühl haben, dass diese Probleme effektiv angegangen werden. Allgemeine Absichtserklärungen, wie beispielsweise das Anfang Januar vorgelegte Sieben-Punkte-Papier (nähere Informationen gibt es hier) helfen hingegen nichts.

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