Das Ob stand nicht in Frage, aber über das Wie wurde intensiv diskutiert: Das zweite Zukunftsforum zum Thema Umwelt und Nachhaltigkeit in der Geflügelfleischerzeugung führte zu einer interessanten Debatte über richtige Schritte und das Tempo der Veränderung. In der Runde mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Geflügelwirtschaft, Politik, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaft wurde deutlich, dass ein Mehr an Umweltschutz häufig auf Tierwohl und die Leistungsfähigkeit der Geflügelhalter einwirkt – aber nicht immer mit den gewünschten Effekten. „Als Geflügelwirtschaft müssen wir uns mit etlichen Zielkonflikten auseinandersetzen“, fasste Thomas Korte, Hähnchenhalter und stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands bäuerlicher Hähnchenerzeuger (BVH), zusammen. Diese Zielkonflikte zeigten sich unter anderem in drohenden Bauvorschriften durch eine Novelle der „TA Luft“, die den Geflügelhaltern den Bau von Offenställen für mehr Tierwohl praktisch verbietet. Sein Fazit nach der anderthalbstündigen Diskussion lautete trotzdem: „Wir liegen gar nicht so weit auseinander.“
Impressionen
Bildergalerie zum Zukunftsforum Umwelt und Nachhaltigkeit
Bettina Gräfin von Spee, Putenhalterin und Vorsitzende des Verbands Deutscher Putenerzeuger (VDP), eröffnete das Gespräch mit einer Beschreibung des Ist-Zustandes. Demnach habe die deutsche Geflügelwirtschaft in den vergangenen Jahren bereits viele Aspekte in der Wertschöpfungskette der Geflügelfleischerzeugung optimiert und somit für massive Einsparungen bei CO2-Emissionen gesorgt. Gleichwohl hätten die Geflügelhalter ein großes Interesse an der Weiterentwicklung ihrer Ställe und wären stets auf der Suche nach technischen Innovationen zur weiteren Verringerung der Ressourcenverbräuche.
Ein zentrales Diskussionsthema im zweiten Zukunftsforum war die Fütterung. Wie Gräfin von Spee aus der Praxis berichtete, „werde die Fütterung bereits seit vielen Jahren angepasst und verbessert, damit es zu einer noch effizienteren Futterverwertung komme.“ Zentraler Futterbestandteil ist Getreide, welches von den Haltern oft auf ihren eigenen Feldern angebaut wird. Auf eine Beimischung von der wichtigen Proteinquelle Soja – aus Übersee importiert – können die Halter allerdings nicht verzichten. Die deutsche Geflügelwirtschaft bekennt sich dabei ausdrücklich zum Soja-Moratorium. Im Kern steht dahinter die Verpflichtung, kein Soja zu importieren, für dessen Anbau nach 2006 Regenwald gerodet wurde.
Um die Klimabilanz der Fütterung durch kürzere Transportwege weiter zu verbessern, fordert die Geflügelwirtschaft die rechtliche Zulassung zur Verwendung von tierischen Schlachtnebenprodukten und die Verwertung von Insektenproteinen. Die verstärkte Nutzung von in Europa verfügbaren Proteinquellen wurde vom Podium begrüßt. So sagte Lutz Weischer, politischer Leiter der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch in Berlin: „Wir müssen uns nach heimischen Alternativen umsehen“. Auch Sarah Wiener, Abgeordnete der österreichischen Grünen im EU-Parlament und hierzulande bekannte Gastronomin und TV-Köchin erklärte: „Die Geflügelbranche hat in mir eine Mitstreiterin in der Verwendung von Insektenproteinen für die Fütterung von Geflügel gefunden.“
Von den Teilnehmern der Runde wurde zudem eine extensive Tierhaltung, also deutlich weniger Tiere auf gleicher Fläche als Beitrag zu einer verbesserten Klimabilanz vorgeschlagen. Agraringenieur Prof. Dr. Jörg Oldenburg verwies auf den damit einhergehenden höheren Futterbedarf: „Ich sehe einen nicht auflösbaren Widerspruch in einer extensiveren Tierhaltung mit einem niedrigeren Futterverbrauch“.
Beim Zielkonflikt zwischen Tierschutz und Umweltschutz waren sich die Diskutanten nicht einig. Hähnchenhalter Korte erläuterte, dass Offenställe zur weiteren Verbesserung des Tierwohls zwangsläufig mehr Emissionen als geschlossene Ställe mit Abluftfilterung mit sich brächten. „Den richtigen Weg, den gibt es nicht“, sagte er.
Wiener plädierte eindeutig für eine ökologische Lösung und eine Umstellung des gesamten landwirtschaftlichen Systems: „Die Zukunft muss ökologisch sein, sonst werden wir keine Zukunft haben“. Dabei dürften ökologische und konventionelle Tierhaltung nicht gegeneinander ausgespielt werde. Es brauche ein Gespräch aller Akteure: Natur- und Tierschützer, Halter und Bauern.
Gräfin von Spee kann sich durchaus einen Kompromiss zwischen extensiver und konventioneller Tierhaltung vorstellen: „Es gibt einen Mittelweg, den die deutsche Geflügelwirtschaft einschlagen könnte – um sowohl für die Umwelt als auch für das Tierwohl eine Lösung zu finden“.
Korte warnte vor einer schnellen Umstellung des Systems, denn die zu erwartende deutliche Verteuerung heimischer Geflügelfleischprodukte gehe mit steigenden Fleischimporten einher. Es sei der falsche Weg, die Zukunft des deutschen Standorts mit eng verzahnten, vielfach auch regionalen Erzeugungsketten aufs Spiel zu setzen. Korte und EU-Politikerin Wiener waren sich einig, dass das Modell Österreich in seiner jetzigen Form wenig überzeugend sei. Das Nachbarland hat die Standards für die heimischen Geflügelhalter sehr hoch angesetzt, was zu rückläufiger Inlandsproduktion und hohen Importquoten aus Ländern führt, die deutlich weniger ambitionierte Normen in der Geflügelhaltung umsetzen.
Auch das Thema Fleischverzicht als vermeintlich bester Lösungsweg zu mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit kam zur Sprache. NGO-Vertreter Weischer wandte sich gegen Vorgaben und moralische Appelle an Verbraucher. Er sagte: „Die Lösung ist aus meiner Sicht, dass wir zu einer anderen Art der Landwirtschaft kommen müssen, wo insgesamt weniger Tiere produziert und somit am Ende auch weniger Tiere gegessen werden.“
Das zweite Zukunftsforum, moderiert von der Fernsehjournalistin Birgit von Bentzel, nahm erneut die zahlreichen Fragen des Online-Publikums mit auf. Es ging um den Einsatz von Antibiotika, die Flächenbindung der Tierhaltung und die Frage, wie Geflügelfleisch im Zielkonflikt zwischen Umweltschutz und Tierwohl am Ende für alle Bevölkerungsgruppen erschwinglich bleibt.
Die Zukunftsforen sind für die deutsche Geflügelfleischwirtschaft ein wichtiger Baustein eines breit geführten Dialogs darüber, wie Deutschland seine Geflügelwirtschaft künftig gestalten will. Bis Mitte September folgen noch zwei Diskussionsrunden über Gesundheit und Ernährung sowie regionale Herkunft.