Bedrohliche Preisspirale: Erzeuger und Verbraucher sind nicht unendlich belastbar

Die Preise für Energie, Rohstoffe und Lebensmittel gehen durch die Decke – Politischer Realitätssinn ist gefragt

Die Preise für Energie, Rohstoffe und Lebensmittel gehen durch die Decke – ein Ende ist nicht in Sicht. Politischer Realitätssinn ist gefragt: Immer höhere Anforderungen und Auflagen für Ernährungs- und Landwirtschaft dürfen Verbraucher wie auch Erzeuger nicht überfordern!

Nicht erst seit Beginn des Kriegs in der Ukraine dreht sich die Preisspirale nach oben. Insbesondere die Energie- und Lebensmittelpreise hatten bereits mit der Erholung der Weltwirtschaft nach dem Einbruch in der Corona-Pandemie wieder angezogen. Zuletzt haben die Anti-Corona-Maßnahmen in China den Auftrieb weiter verstärkt. Die Inflation in der Eurozone hat im Juni mit 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat einen neuen Rekordwert erreicht.

Dass das der Bevölkerung zunehmend an die finanzielle Substanz geht, zeigt sich im Supermarkt: Beim Einkauf schauten die Verbraucher aktuell sogar stärker auf den Preis als auf den Geschmack von Lebensmitteln, hat eine Umfrage im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) ergeben.

Diese Realitäten sollte die Politik im Blick haben, wenn sie der Landwirtschaft immer höhere Auflagen und ambitioniertere Ziele verordne, sagt ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke. „Die Bevölkerung ist finanziell nicht unendlich belastbar!“ Qualität und Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln sei wichtig, aber bei Preissteigerungen müssten Maß und Mitte gewahrt bleiben. Der ZDG verweist darauf, dass 90 Prozent der Nachfrage nach Geflügelfleisch aus der Haltungsstufe 2 der privatwirtschaftlichen Initiative Tierwohl komme – ein tierwohlgerechter und dabei erschwinglicher Standard. „Verbraucher lassen sich bei Fleisch nicht in immer höhere Haltungsstufen hineinzwingen, die sich viele einfach nicht leisten können“, so Ripke.

Energie und Futter: Auch Kosten der Fleischproduktion extrem gestiegen

Auch aus Sicht der heimischen Erzeuger ist die Entwicklung besorgniserregend. Die Preiserhöhungen, die die Verbraucher im Einzelhandel so schmerzhaft zu spüren bekommen, kommen nur zu einem kleinen Teil als höhere Erlöse bei ihnen an, während die Fleischproduktion selbst massiv von den steigenden Energie- und Rohstoff- beziehungsweise Futterkosten betroffen ist. Deshalb sei die Branche mehr denn je auf die Solidarität in der Wertschöpfungskette angewiesen, macht ZDG-Präsident Ripke in Richtung des Lebensmitteleinzelhandels deutlich. „Wenn die Futter- und die Energiekosten weiter so steigen, dann können wir mit den vereinbarten Erzeugerpreisen nicht mehr über das laufende Jahr kommen. Dann werden Betriebe aufgeben müssen“, sagte er „top agrar“ bereits im Juni dieses Jahres.

Seitdem hat sich die Lage weiter zugespitzt: Der Bundesverband bäuerlicher Hähnchenerzeuger (BVH) hat berechnet, dass die sogenannten variablen Kosten in der Hähnchenmast – dazu zählen neben Strom und Gas unter anderem auch die Kosten für Ersatzteile, Personal oder Einstreu – für einen Standard-Stall mit 1.800 Quadratmetern im Zeitraum des ersten Halbjahres 2022 um fast 100 Prozent gestiegen sind, sich also nahezu verdoppelt haben. Die Futterkosten waren hier noch nicht eingerechnet: Lagen sie im Jahr 2021 noch bei rund 400.000 Euro für einen Standard-Stall, werden es den Schätzungen zufolge im Jahr 2022 voraussichtlich über 525.000 Euro sein.

 

Umbau der Nutztierhaltung: Politik muss ihren Finanzierungsstreit endlich beilegen

„Vor diesem Hintergrund sollte die Politik sorgsam abwägen, wie viel an Mehrbelastungen sie Bevölkerung und Wirtschaft noch zumuten kann“, sagt Ripke. Will die Bundesregierung an ihren ambitionierten Umbauzielen für die Nutztierhaltung festhalten, muss klar sein: Mit den jährlich vier bis sechs Milliarden Euro Kosten, die der Umbau von Tierwohlställen und insbesondere der laufende Betrieb in höheren Haltungsformstufen verursachen wird, kann sie die Tierhalter nicht allein lassen – und sie über höhere Preise komplett auf die Verbraucher umzuwälzen, ist ebenfalls keine realistische Option.

Der ZDG spricht sich stattdessen für ein Mischmodell aus: Zusätzlich zu einer marktfinanzierten Tierwohlabgabe könnte das Bundesfinanzministerium dem Landwirtschaftsministerium beispielsweise jährlich zweckgebundene Haushaltsmittel zuweisen, die den Landwirten zugutekommen – idealerweise verknüpft mit der Zusage, dass ihnen der Mehrkostenausgleich über einen Zeitraum von 20 Jahren garantiert wird. Für solch eine Kompromisslösung müssten die Ampel-Koalitionspartner aber ihre andauernden politischen Streitigkeiten überwinden, mahnt Ripke. „Es ist höchste Zeit dafür.“

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