Geflügelhalter im Dauer-Krisenmodus: „Bald brauchen wir nicht mehr einzustallen“

Eine Betriebsleiterin berichtet, wie sie mit den Folgen von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg umgeht

Geflügelhalter sind es gewöhnt, flexibel auf veränderte Marktlagen zu reagieren. Die Krisen, mit denen sie es aktuell zu tun haben, fordern sie jedoch wie noch nie. Eine Betriebsleiterin berichtet, wie sie mit den Folgen von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg umgeht – und was sie jeden Tag motiviert. 

Seit zweieinhalb Jahren steht die Welt Kopf. Auch die von Kristin Schultz. Die 35-Jährige ist Betriebsleiterin zweier Hähnchenmast-Anlagen, einer im nördlichen Brandenburg und einer in Zierzow in Mecklenburg-Vorpommern. Die gelernte Industriekauffrau managt mit sechs Mitarbeitern insgesamt 14 Ställe – und seit dem Beginn der Corona-Pandemie bedeutet das im Alltag immer wieder Krisenmanagement. „Mit dem ersten Lockdown brach für unsere Abnehmer, die Schlachthöfe, das Großhandelsgeschäft in Deutschland weg, sie mussten auf den Export ausweichen“, berichtet sie. Vor der Krise hatte sie alle drei Monate mit ihnen die Preise verhandelt. In der Corona-Zeit gab es zeitweise jede Woche Video-Calls – und meistens hatte Betriebsleiterin Schultz dabei das Nachsehen: Die Abnahmepreise fielen und fielen, weil die Schlachthöfe im Ausland weniger erlösen konnten als hierzulande.

Der Strohhalm, an den sie sich damals klammerte: „Die Menschen gehen nicht mehr ins Restaurant oder zu Veranstaltungen wie dem Oktoberfest, aber zumindest zu Hause müssen sie doch etwas essen!“ Und tatsächlich: Mit Fortschreiten der Pandemie stieg die Verbrauchernachfrage nach Geflügelfleisch insbesondere höherer Haltungsstufen. „Das Geld, das die Leute nicht für Urlaub ausgeben konnten, hatten sie offenbar für Premium-Lebensmittel übrig.“ Schultz‘ Betriebe sind Mitglied in der privatwirtschaftlichen Initiative Tierwohl (ITW) und produzieren Fleisch der Haltungsformstufe 2, „StallhaltungPlus“. Kurz habe sie damals darüber nachgedacht, auf eine noch höhere Stufe umzusteigen, erzählt Schultz, die auch Vorsitzende der Erzeugergemeinschaft (EZG) Nordbroiler ist.

Preissteigerungen belasten Verbraucher und Erzeuger

Heute ist sie heilfroh, dass sie es nicht gemacht hat. „Der Mehrerlös, den wir durch die Umstellung erzielt hätten, stand damals schon in keinem Verhältnis zu den Kosten für den Umbau der Ställe und dem bürokratischen Aufwand.“ Vom dominierenden ITW-Standard, der Haltungsformstufe 2, ist sie sowohl unter Tierwohl- als auch unter ökonomischen Aspekten überzeugt. Und mit dem Premium-Hype ist es seit dem Ukraine-Krieg ohnehin vorbei: Wegen der Inflation halten Verbraucher ihr Geld zusammen und meiden auch hochpreisige Lebensmittel, der Absatz von Bio-Produkten im Bio-Fachhandel ist rückläufig.

Allerdings machen die Preissteigerungen auch vor den Fleischerzeugern nicht Halt, vor allem die Rohstoff- und Energiepreise sind seit Jahresbeginn explodiert. Beim Thema Energie hat Kristin Schultz noch Glück, weil ihre Betriebe länger laufende Lieferverträge für Strom und Gas vereinbart haben. Aber der Mischfutterpreis hat sich von rund 33 Euro vor der Pandemie auf zwischenzeitlich rund 64 Euro pro Doppelzentner verdoppelt, weil Mais und Weizen deutlich teurer geworden sind. Sogar bei den Aminosäuren, Vitaminen und Fetten für die Futtermischungen gab es satte Preisaufschläge.

Und es nimmt kein Ende. „Gefühlt jeden Tag öffne ich Briefe von Dienstleistern, die mit Verweis auf den Ukraine-Krieg ihre Preise erhöhen – bis hin zur Müllabfuhr“, berichtet sie. Mit den Schlachthöfen verhandelt sie derzeit im Vier-Wochen-Rhythmus die Abnahmepreise. Gleichzeitig steigen absehbar die Löhne für ihre Mitarbeiter, und auch bei ihren übrigen Kosten hat Schultz nur begrenzten Spielraum. „Ich halte nichts davon, an Desinfektionsmitteln zu sparen oder minderwertiges Futter zu kaufen – das geht nach hinten los, es schadet den Tieren und senkt den Ertrag“, erklärt sie.

Lehre aus der Ukraine-Krise: Abhängigkeit von Weltmärkten reduzieren

Weil sich die Futter- und Ausstallungspreise zuletzt etwas stabilisiert haben und Schultz vorausschauend gehandelt hat, stehen die von ihr gemanagten Betriebe wirtschaftlich aktuell noch einigermaßen gut da – allerdings haben sie zuvor auch anderthalb Jahre lang Geld verloren, und nun bräuchte es eigentlich dringend Reserven: Denn vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage blickt die Betriebsleiterin mit großer Sorge auf den Herbst. „Wenn sich der Gaspreis verdreifacht, brauchen wir auch nicht mehr einzustallen“, sagt sie. Die Abhängigkeit ihrer Branche von den Weltmärkten, die der Ukraine-Krieg schmerzhaft sichtbar gemacht hat, mache ihr Angst, sagt sie ganz offen. Sie denkt deshalb gerade darüber nach, Speichermedien anzuschaffen, um zumindest auch nachts auf eigene Stromreserven zurückgreifen zu können.

Ihren Branchenkolleginnen und Kollegen gibt Schultz den Rat, sich jetzt mit besonders viel Engagement um ihr Kerngeschäft zu kümmern – ihre Ställe sauber zu halten und gründlich zu desinfizieren, Wartungsstaus unbedingt zu vermeiden, die Stallisolierung zu optimieren. Am Ende ist ihr Beruf zwar Management, aber einer mit großer Verantwortung für Mensch und Tier, macht Schultz deutlich. Sie würde, Krisenmanagement hin oder her, keinen anderen machen wollen. „Ich kann mitgestalten, wie wertvolle Lebensmittel in Deutschland produziert werden. Das treibt mich jeden Tag aufs Neue an.“

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