„Deutsche Putenhalter kämpfen um ihre Existenz“

Bettina Gräfin von Spee, Vorsitzende des Verbandes Deutscher Putenerzeuger (VDP), zeigt sich im Interview besorgt um die Zukunft der Branche

Bettina Gräfin von Spee vertritt seit Mai dieses Jahres die Interessen der deutschen Putenwirtschaft im Erzeugerverband VDP. Im Interview erklärt sie, warum in Deutschland zunehmend Ställe leerstehen – und gibt ganz persönliche Einblicke in ihren Alltag als Putenhalterin.

Gräfin von Spee, Sie stehen seit mehr als einem halben Jahr an der Spitze des Verbandes der Deutschen Putenerzeuger (VDP). Wie lautet Ihre persönliche Zwischenbilanz: Welches waren die größten Highlights?
Bettina Gräfin von Spee:
Dazu gehörten ganz sicher die vielen persönlichen Gespräche und Begegnungen mit Menschen, die Tierhaltung und Fleischerzeugung am Standort Deutschland genau wie wir voranbringen wollen. Ein Beispiel: Auf der Messe HOGA in Nürnberg haben wir uns mit Vertretern von Spitzengastronomie und Hotellerie darauf verständigt, das Thema Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie gemeinsam voranzutreiben. Es ist spannend, mit anderen Fleischerzeugern, mit Vermarktern oder Gastronomen in den Dialog zu treten, Gemeinsamkeiten auszuloten und zu schauen, wo man zusammen Fortschritte erreichen kann.
Sie haben bei Ihrem Antritt das Ziel einer Putenhaltung formuliert, „die auf Realismus statt Ideologie basiert“. Wo stehen wir in Deutschland auf dem Weg zu diesem Ziel?
Bettina Gräfin von Spee:
Die Putenhaltung wird immer noch sehr ideologisch diskutiert. In vielen Köpfen sind 30 Jahre alte Vorurteile verankert, obwohl die Realität heute eine ganz andere ist: Wir sind beim Tierwohl in den vergangenen Jahrzehnten enorm vorangekommen und arbeiten daran, uns weiter zu verbessern. Häufig wird auch vergessen, dass Puten eine wichtige Nahrungsquelle sind und die Fleischproduktion nicht zuletzt auch wirtschaftlich sein muss.
Können Sie Beispiele für solche Vorurteile nennen?
Bettina Gräfin von Spee:
Es haben sich Schreckensbilder eingebrannt von Puten, die so schwer sind, dass sie vornüberkippen. Dabei sind die Tiere heutzutage so agil wie nie zuvor und rennen bis zu ihrem letzten Lebenstag mit viel Power im Stall herum. Auch die Vorstellung, dass die Puten unnötig mit Antibiotika behandelt werden, ist Unsinn. Mit Fakten gegen solche Zerrbilder anzuarbeiten, ist der einzige Weg. Aber er ist noch lang.
Die deutsche Putenwirtschaft ist beim Tierwohl bereits Vorreiter: Im Jahr 2013 gab sich die Branche freiwillig Mindeststandards für die Putenhaltung. Leider sind andere Länder nicht nachgezogen, EU-einheitliche Regeln sind erst recht nicht in Sicht. Stellt sich das Engagement der Branche jetzt als Nachteil heraus?
Bettina Gräfin von Spee:
Die Selbstverpflichtung der Branche war eine Pionierleistung, die Politik und Gesellschaft leider bis heute nicht honorieren. Unsere Märkte werden nach wie vor mit konkurrenzlos günstigem Putenfleisch aus dem Ausland geflutet, wo Tierwohl- und Erzeugungsstandards viel niedriger sind als bei uns. Dieser Wettbewerbsnachteil ist, zusammen mit den niedrigen Verkaufspreisen und massiv gestiegenen Futter- und Energiekosten, der Grund dafür, dass unsere Putenhalter zunehmend um ihre Existenz kämpfen.
Wie äußert sich das?
Bettina Gräfin von Spee:
Immer mehr Mäster lassen ihre Ställe leerstehen, weil die Erlöse ihre Kosten nicht decken. Und wir sehen zunehmend, dass Betriebe, die an der Altersschwelle stehen, von der jungen Generation nicht fortgeführt werden. Mittelfristig werden immer mehr kleinere Betriebe in größeren aufgehen müssen. Dieser beschleunigte Strukturwandel macht mir Sorgen. Es hilft nichts, wenn sich Politik und Gesellschaft regionale Landwirtschaft wünschen, es aber keinen gibt, der sie macht.
Vielen Geflügelhaltern macht auch der Zielkonflikt zwischen Tierwohl und Klimaschutz zu schaffen: Sie wollen ihre Ställe tiergerechter machen, haben aber aufgrund restriktiver Bau- und Immissionsschutzgesetze kaum Chancen auf eine Baugenehmigung. Wie stark ist die Putenwirtschaft davon betroffen?
Bettina Gräfin von Spee:
Der Handlungsdruck in der Putenwirtschaft ist aktuell nicht ganz so groß wie bei den Hähnchen: Offenställe mit Außenklimareizen zum Beispiel sind bei uns bereits gang und gäbe. Bei weiteren Fortschritten, die wir gern angehen würden – etwa den Bau zusätzlicher Wintergärten –, wird es in der Tat schwierig: Es kann passieren, dass ein Tierhalter dafür keine Baugenehmigung erhält und der Bestandsschutz für die komplette Betriebsstätte erlischt. Meistens ziehen die Betriebe nach entsprechenden Warnungen ihrer Architekten rechtzeitig die Reißleine und stoppen ihre Pläne.
Welche Strategie fahren Sie selbst als Putenhalterin?
Bettina Gräfin von Spee:
Wir machen uns, wie viele andere Betriebe auch, sehr konkrete Gedanken, wie und welche Ställe wir für noch mehr Tierwohl umbauen können, und wann wir damit anfangen. Doch unter den jetzigen Bedingungen würden wir keinen Antrag auf größere Umbaumaßnahmen einreichen. Das ist schon demotivierend: Wir wollen weitere Tierwohl-Verbesserungen, wir haben die Ideen und die Technologien dafür, können es aber nicht realisieren. Wir hoffen, dass die neue Koalition in Berlin sich dieses Themas schnell annimmt, damit der Umbau der Ställe endlich vorankommt.
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