Gerade, als wir dachten, wir hätten vom Bundeslandwirtschaftsminister schon alles gehört, ließ Cem Özdemir (Grüne) kürzlich bei einer Veranstaltung in Berlin folgenden Satz fallen: „Seit ich Minister bin, setze ich mich Tag und Nacht für die Herkunftskennzeichnung ein.“
Er wollte damit offenkundig bekräftigen: Ihn müsse man von der Sinnhaftigkeit der Herkunftskennzeichnung nicht überzeugen, in Briefe gefasste Forderungen der Opposition nach ihrer Einführung seien bei der EU-Kommission „besser aufgehoben“. Er würde gar das Porto dafür spendieren oder sich als Briefträger betätigen, so der Minister.
Aus diesem bemüht humorvollen Seitenhieb spricht der Frust über die Hinhaltetaktik aus Brüssel. Die Europäische Kommission hat einen EU-weit verbindlichen Entwurf zur Ausweitung bestehender Kennzeichnungspflichten ursprünglich für Ende 2022 zugesagt – und bis heute nicht geliefert. Damit ist auch Özdemir bloßgestellt. Die „umfassende Herkunftskennzeichnung“ ist im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angekündigt und bisher ist nichts Nennenswertes passiert. Lediglich im Lebensmitteleinzelhandel wird die Herkunftskennzeichnung demnächst auf Metzgereien und Fleischtheken ausgeweitet.
Wo aber bleibt die Herkunftstransparenz in einem viel wichtigeren Bereich: dem Außer-Haus-Verzehr, in dem mehr als die Hälfte des Geflügelfleisches verzehrt wird? Vollständige Transparenz für Verbraucher gibt es nur dann, wenn die Herkunft von Fleisch auch auf der Speisekarte steht. Leider hat der Minister bisher nichts dazu gesagt, ob sich sein 24-Stunden-Einsatz für die Herkunftskennzeichnung auch auf dieses Handlungsfeld erstreckt.
Mit einer großen Anzeigenkampagne im politischen Berlin fordern wir die Bundesregierung in diesen Tagen auf: Bitte keine halben Sachen machen! Die versprochene „umfassende“ Herkunftskennzeichnung muss den Außer-Haus-Verzehr einschließen – in dieser Ausgabe unseres News-Pickers erläutern wir näher, warum.
Ob der Entwurf dafür aus Brüssel kommt oder aus Berlin, ist für uns nicht entscheidend. Entscheidend ist: Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag ein Versprechen abgegeben. Es wäre schön, der Landwirtschaftsminister würde seine Rolle hier nicht als Überbringer von Post nach Brüssel sehen, sondern selbst Verantwortung übernehmen – und dieses Versprechen einlösen.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.
Ihr Friedrich-Otto Ripke
Im Fokus: Herkunftskennzeichnung im Außer-Haus-Verzehr
Mit einer Anzeigenkampagne im politischen Berlin mahnt die Geflügelwirtschaft die Politik, bei ihren Bemühungen um Transparenz und Qualität bei Lebensmitteln die richtigen Handlungsfelder in den Blick zu nehmen: Viel dringender als neue Bio-Logos brauchen wir auch im Außer-Haus-Verzehr eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung!
Es ist ein Trauerspiel, dass die Bundesregierung daran erinnert werden muss, was in ihrem eigenen Koalitionsvertrag steht. Neben der verpflichtenden staatlichen Haltungskennzeichnung, die mittlerweile auf den Weg gebracht ist, verspricht sie dort auch eine „umfassende Herkunftskennzeichnung“.
Tatsächlich gehört beides zusammen. Und zwar nicht nur, weil die verpflichtende Haltungskennzeichnung allein inländische Produzenten ansonsten gegenüber ausländischen Mitbewerbern benachteiligen würde. „Sondern, weil ‘Made in Germany‘ insbesondere bei Geflügelfleisch auch ein Tierwohl-Versprechen ist“, sagt Wolfgang Schleicher, Geschäftsführer des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). „Unsere heimischen Betriebe haben es verdient, dass ihre verantwortungsbewusst und nachhaltig erzeugten Produkte im scharfen europäischen und globalen Wettbewerb mehr Sichtbarkeit und Wertschätzung erhalten.“
Was bedeutet „umfassend“?
Die entscheidende Frage ist: Was ist eine „umfassende“ Herkunftskennzeichnung und wann ist sie erreicht? Aus Sicht der Geflügelwirtschaft ist die Sache klar: Im Außer-Haus-Verzehr, also in Restaurants, Mensen und Kantinen, wird mehr als die Hälfte des hierzulande verzehrten Geflügelfleisches verbraucht – deshalb darf es nicht sein, dass die Gäste dort in der Regel nichts über die Herkunft des Fleisches auf der Speisekarte erfahren. Umfragen zeigen, dass das längst nicht mehr zeitgemäß ist: Die große Mehrheit der Bevölkerung fordert auch hier Transparenz ein. Mit aufmerksamkeitsstarken Anzeigenmotiven (Print, Online, Out-of-home) an prägnanten Stellen im Berliner Stadtbild fordert der ZDG die Politik auf, diesem Wunsch der Bevölkerung endlich nachzukommen.
Leider hat sich die Politik bislang nicht geäußert, was sie in dieser Sache unternehmen wird. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat jüngst zwar beteuert: „Alles, was ich als Minister national an Herkunftskennzeichnung regeln kann, bringe ich aktuell auf den Weg.“ Die nationale Ausweitung der bereits bestehenden (und ihrerseits auf EU-Recht basierenden) Herkunftskennzeichnung auf unverpacktes, unverarbeitetes Fleisch – also zum Beispiel Ware an der Fleischtheke, auf Wochenmärkten oder in Metzgereien – ist nach seiner Aussage „das, was rechtlich möglich ist innerhalb des Binnenmarktes“.
Schleicher: „National eine Blaupause für Europa schaffen“
Was kann, darf (und will) Deutschland wirklich selbst regeln, was muss über die EU laufen? Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Von welcher Stelle der erste Entwurf kommt, ist aus Sicht der Geflügelwirtschaft zweitrangig. Fest steht: Es müssen EU-weit einheitliche und verpflichtende Spielregeln für die Fleischerzeuger im Binnenmarkt erreicht werden – dies ist die Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb zugunsten des Tierwohls und der Verbraucher. Das gilt sowohl für die Haltungs- als auch für die Herkunftskennzeichnung. Und weil Brüssel noch immer nicht geliefert hat, gelte es für die Bundesregierung, die „Zeit zu nutzen, national eine Blaupause der Herkunftskennzeichnung für Europa zu schaffen“, sagt ZDG-Geschäftsführer Schleicher.
Immerhin: Die Bundesregierung hat den Außer-Haus-Verzehr mittlerweile als wichtige Stellschraube in Ernährungsfragen identifiziert. Allerdings mit einer aus Sicht der Geflügelwirtschaft fragwürdigen Schwerpunktsetzung: Sie plant, für Restaurants, Kantinen und Mensen auf freiwilliger Basis ein Bio-Logo einzuführen, welches Auskunft über den Anteil der Biolebensmittel geben soll. Nicht nur Vertreter der Gastronomie sehen dies mit großer Skepsis. „Anstatt das nunmehr vierte Bio-Siegel einzuführen, sollte die Politik im ersten Schritt mit einer verpflichtenden Herkunftskennzeichnung die essenzielle Grundlage für eine mündige Verbraucherentscheidung schaffen“, sagt ZDG-Geschäftsführer Wolfgang Schleicher. Indem die Bundesregierung aus ideologischen Gründen die überschaubare Öko-Klientel unterstütze, torpediere sie damit gleichzeitig ihre eigenen langfristigen Ziele. „Wenn die „Bio“-Produkte im Außer-Haus-Verzehr über lange Transportwege aus dem Ausland importiert werden, damit sie halbwegs bezahlbar bleiben, ist das weder im Sinne der Nachhaltigkeit in der Nahrungsmittelproduktion noch des Tierwohls – denn über Tierwohl sagt ‚Bio‘ an sich nicht viel aus“, betont Schleicher.
Die Verwirrung um die „umfassende Herkunftskennzeichnung“ geht weiter. Wer liefert einen Entwurf dafür: Brüssel oder Berlin? Wann passiert das? Und auf welche Art von Fleisch und welche Vermarktungswege bezieht sie sich dann? Wir dokumentieren die Historie und den aktuellen Stand der Ankündigungen der Politik.
Im Rahmen unserer Aktionstour durch Deutschland haben wir die Bevölkerung vergangenen Sommer gefragt: Was bekommen Sie zu hören, wenn Sie im Restaurant nach der Herkunft des Geflügelfleisches fragen? Hier sind die teils schockierenden Antworten.
Der Großteil der Anbieter im Außer-Haus-Verzehr hält sich bedeckt, was die Herkunft des verarbeiteten Fleisches angeht. Doch es gibt erfreuliche Ausnahmen wie den Schweizer Gastronomen Fabian Aegerter. Er erläutert, warum die Herkunftskennzeichnung in Restaurants und Kantinen ein „Win-Win“ für alle Beteiligten ist.
Die Gemeinschaftsgastronomie hat eine Vorbildfunktion für hochwertige und gesunde Ernährung – davon ist Victoria Broscheit überzeugt. Deshalb führt sie in den Betriebsrestaurants von Audi Stück für Stück eine freiwillige Herkunftskennzeichnung für Fleisch ein. Im Video erklärt sie, warum der Aufwand sich absolut lohnt.
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