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Neues aus der Geflügelfleischwirtschaft Oktober 2022
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Es ist was in Bewegung!

Es ist was in Bewegung!

wer hätte das gedacht? Ausgerechnet eine Ampel-Koalition mit „grün“ geführtem Bundeslandwirtschaftsministerium setzt nach langem politischem Stillstand Dinge in Bewegung: Im Parteien-Hickhack um ein Finanzierungsmodell für die Tierwohlprämie haben wir zuletzt Fortschritte vernommen. Auch sollen dabei Investitions- und laufende Kosten Berücksichtigung finden. Das Bundeskabinett hat die Einführung der verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung beschlossen. Der Gesetzentwurf wird sicher in der Bundestagsdebatte noch Verbesserungen erfahren. Und: Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat uns persönlich versichert, dass er sich auch um die – im Koalitionsvertrag versprochene – Herkunftskennzeichnung kümmern will, die es vor allem für den Außer-Haus-Verzehr braucht und die möglichst Anfang 2023 konkretisiert werden muss.

Damit stellt die Politik endlich wichtige Weichen, um den historisch wohl beispiellosen Umbruch der deutschen Nutztierhaltung konstruktiv zu begleiten, in dem sich unsere Branche seit Jahren befindet. Dieser Umbruch ist geprägt durch die Digitalisierung, den Klimawandel, das steigende Bewusstsein der Bevölkerung für Tierwohl, Nachhaltigkeit und Ernährungsqualität und aktuell durch Futtermittel – und Energiekrise. Nicht bei allem, was die Ampel-Koalition voranbringt, geht es uns schnell genug, nicht mit allem sind wir inhaltlich einverstanden. Und wir haben Fragen – beispielsweise, was es konkret bedeutet, wenn Özdemir sagt, dass künftig „weniger Tiere besser gehalten“ werden sollen. Und warum die Reduktion der Tierbestände für unsere Landwirte Bedingung dafür sein soll, mit finanzieller Unterstützung ihre Ställe für mehr Tierwohl umzubauen. Die jetzt schon deutlich unter 100 Prozent liegenden Selbstversorgungsgrade bei Lebensmitteln aus Geflügel dürfen dabei nicht ignoriert werden!

Aber: Jammern kann jeder. Wir wollen, dass es weiter vorangeht. Und wir wünschen uns, dass die Politik uns auf dem weiteren Weg mitnimmt. Dass sie insbesondere bei der weiteren Ausgestaltung von Haltungs- wie auch Herkunftskennzeichnung mit uns spricht. Dass letzteres immer eine gute Idee ist, haben wir jüngst auf dem Bundesparteitag der Grünen erlebt. Der persönliche Austausch hilft ungemein, die Perspektiven des jeweils anderen zu verstehen und seine eigenen herüberzubringen. In diesem Sinne möchten wir den Dialog gerne weiter ausbauen. Selbstredend nicht nur mit den Grünen, sondern allen demokratischen Parteien.

Die aktuelle Ausgabe unseres Newsletters wirft einen Blick darauf, wie sich die Geflügelwirtschaft verändert, was sie gerade besonders bewegt und wo aus unserer Sicht der größte Handlungsbedarf liegt.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr Friedrich-Otto Ripke

Im Fokus: LANDWIRTSCHAFT IM UMBRUCH

Haltungskennzeichnung von Kabinett abgesegnet: Was als nächstes passieren muss

Haltungskennzeichnung von Kabinett abgesegnet: Was als nächstes passieren muss

Die staatliche Haltungskennzeichnung ist (noch) nicht der große Wurf. Aber sie ist ein Schritt in die richtige Richtung. Worauf es jetzt ankommt, damit der Umbau der Nutztierhaltung für mehr Tierwohl, Nachhaltigkeit und für eine starke heimische Landwirtschaft gelingt.

Als „wichtigen Baustein (…), um den Umbau hin zu einer zukunftsfesten Tierhaltung in Deutschland voranzutreiben“, bezeichnete das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die Entscheidung des Bundeskabinetts, den Gesetzentwurf für die Tierhaltungskennzeichnung abzusegnen. „Das ist die erste Etappe“, kommentierte Agrar-Ressortchef Cem Özdemir (Grüne). Als „Teil eines Puzzles“ sieht die ernährungspolitische Sprecherin der Grünen, Renate Künast, die Pläne.

Gut, dass die Politik realistisch einschätzt, wo wir stehen. Auch aus Sicht der Geflügelfleischwirtschaft ist noch ein weiter Weg zu gehen, wenn die Tierhaltungskennzeichnung wirklich dazu beitragen soll, das Tierwohl in der Breite zu verbessern und die heimische Landwirtschaft zukunftsfest aufzustellen. Zum einen ist zu hoffen, dass bei der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes noch nachgebessert wird – etwa bei den übertriebenen bürokratischen Pflichten und den unzureichenden Überwachungsmechanismen für die Einhaltung der Standards.

Jetzt: Auch Herkunftskennzeichnung voranbringen!

Zum anderen muss der Geltungsbereich des Gesetzes schleunigst ausgeweitet werden: Auch heimische Geflügelhalter, die vom aktuellen Vorhaben nicht erfasst sind, brauchen Klarheit und Planungssicherheit. „Die Anforderungen an die künftigen Haltungsformstufen und Prozesse müssen dabei unbedingt den Besonderheiten und Realitäten der jeweiligen Tierart Rechnung tragen“, mahnt Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). Speziell bei Geflügel sei mit der im gekennzeichneten Lebensmitteleinzelhandel dominierenden Haltungsformstufe 2 der privatwirtschaftlichen Initiative Tierwohl (ITW) ein tierwohlgerechter und bezahlbarer Haltungsstandard etabliert. „Die bewährten Kriterien und Mechanismen der ITW sollten den Weg auch für das staatliche Kennzeichen weisen.“

Özdemir: „Kaufen Sie gern gutes deutsches Fleisch“

Will die Politik auch den Weg für weitere Tierwohl-Fortschritte in Richtung der Haltungsformstufen 3 und 4 ebnen, muss sie sich zeitnah einem weiteren Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zuwenden: der umfassenden verpflichtenden Herkunftskennzeichnung, insbesondere im Außer-Haus-Bereich. Denn im Gegensatz zum Lebensmitteleinzelhandel gibt es in Restaurants oder Kantinen in der Regel für Verbraucher keine Informationen darüber, wo das Fleisch auf der Speisekarte herkommt und wie das Tier gehalten wurde.

Speziell bei deutschem Geflügel ist das Thema Tierwohl direkt mit der heimischen Herkunft verknüpft: Sowohl bei Hähnchen als auch bei Puten liegen die heimischen Halter im Vergleich der Haltungs- und Qualitätsstandards mit anderen Ländern weit vorn. Ermutigend, dass das offenbar auch Agrarminister Özdemir so sieht: „Kaufen Sie gern gutes deutsches Fleisch. Bei Anderen wissen wir halt nicht, wie es gehalten wurde“, hat er jüngst gesagt – und wiederholt angekündigt, dass sich sein Ressort um eine nationale Lösung kümmert, wenn die EU-Kommission keinen überzeugenden, EU-einheitlichen Entwurf für eine Herkunftskennzeichnung liefert.

Hoffentlich bereitet das BMEL dies schon vor, denn der EU-Entwurf scheint sich zu verzögern: War er zunächst noch für „Ende 2022“ angekündigt, ist nunmehr, etwas vorsichtiger, von „Anfang 2023“ die Rede. Immerhin: Bereits jetzt rückt die Ausweitung der verpflichtenden Herkunftskennzeichnung im Lebensmitteleinzelhandel auf nicht verpacktes Fleisch (etwa auf Wochenmärkten und Fleischtheken) in großen Schritten näher, den Verordnungsentwurf dafür will das BMEL nach einem Bericht von top agrar in diesen Tagen vorlegen.

Haltungskennzeichnung und Herkunftskennzeichnung zusammen denken und möglichst kombiniert umsetzen: Das würde – so die Überzeugung Ripkes – den hohen Qualitäts- und Tierwohlstandards der heimischen Tierhalter Sichtbarkeit, Wertschätzung der Verbraucher und damit nicht zuletzt höhere Absätze bescheren. „Und das wiederum gibt ihnen finanziellen Spielraum für Investitionen in mehr Tierwohl.“

Finanzierung von Tierwohl-Umbauten: Jetzt doch über Verbraucher-Abgabe?

Klar ist aber auch: Die Milliardenkosten, die der politisch gewünschte Umbau der Nutztierhaltung mit sich bringt, können die Landwirte allein nicht schultern. Auch die sogenannte „Bauernmilliarde“, die für den Zeitraum bis 2026 vorgesehen ist, wird hierfür nicht ausreichen – selbst wenn die staatliche Finanzierungsunterstützung, wie jüngst beschlossen, nicht nur für Stallumbauten, sondern auch für erhöhte laufende Kosten in Anspruch genommen werden darf.

In den Parteien-Streit um eine Finanzierungslösung ist glücklicherweise zuletzt Bewegung gekommen: Die FDP hatte signalisiert, dass sie die Tierwohlabgabe oder auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer als Finanzierungsinstrument unter bestimmten Bedingungen mittragen will. Eine offizielle Einigung innerhalb der Ampel-Koalition, verbunden mit einem konkreten, verlässlichen Finanzierungskonzept, steht aber weiterhin aus – zum Unmut der Experten der Borchert-Kommission, die schon vor langem sinnvolle Finanzierungsvorschläge gemacht hatten.

Keine Umbauten ohne modernes Baurecht

Neben der Finanzierung gilt es noch eine weitere wichtige Hürde zu nehmen: „Es braucht dringend ein modernes Baurecht, das nicht länger Klimaschutz und Tierwohl gegeneinander ausspielt und damit alle Tierwohl-Bemühungen von Politik und Wirtschaft konterkariert“, so ZDG-Präsident Ripke. Tatsächlich riskieren Geflügelhalter, die auf eigene Kosten in Stallumbauten investieren wollen, dafür gar keine Genehmigung zu bekommen und lassen es deshalb lieber gleich.

Der Grund: Bekommen Tiere mehr Auslauf im Freien, entweichen CO2 und weitere Emissionen im Gegensatz zur Stallhaltung ungefiltert in die Umgebung. Deshalb ist der Gesetzgeber bei solchen Umbauplänen äußerst restriktiv. „Die Politik muss – zumindest für eine Übergangszeit – klar priorisieren zwischen Tierwohl-Umbauten und Emissionsschutz-Regeln“, so Ripke. Ohne eine solche Priorisierung nütze auch das beste Finanzierungskonzept nichts. „Dann kommt der Umbau für mehr Tierwohl in der Breite praktisch nicht in Gang.“

Geschlechtergerechtigkeit: Wie wir Frauen in der Landwirtschaft stärken!

Geschlechtergerechtigkeit: Wie wir Frauen in der Landwirtschaft stärken!

Frauen sind in der Landwirtschaft unterrepräsentiert – in Führungspositionen und im öffentlichen Bild der Branche. Daher wurde ihre Rolle jetzt in einer umfassenden Studie der Bundesregierung beleuchtet. Die Forschungsergebnisse zeigen, welche wichtigen Rollen weibliche Arbeitskräfte auf Höfen in Deutschland erfüllen und wodurch ihre Lebens- und Arbeitssituation verbessert werden kann.

Das öffentliche Bild ist eindeutig: Die Arbeit auf landwirtschaftlichen Betrieben wird vorrangig Männern zugeschrieben – für Führungspositionen gilt das allemal. Klar ist: Es arbeiten auch viele Frauen auf Deutschlands Höfen. Nicht so offensichtlich ist, welche Aufgaben sie erfüllen, wie sie ihre Rolle selbst wahrnehmen und wie sie gestärkt werden können. Daher hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) jüngst die erste gesamtdeutsche Studie zur Lebens- und Arbeitssituationen der Frauen in der Landwirtschaft initiiert. Durchgeführt wurde die Studie vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft und der Universität Göttingen.

Die umfassenden Untersuchungsergebnisse zeichnen ein vielfältiges Bild von Frauen in der Landwirtschaft. Laut Online-Umfrage schätzen die Frauen am Hofleben besonders, dass ihre Kinder auf dem Betrieb aufwachsen können, sie eine ländliche Wohnlage haben und in der Natur sowie mit Tieren arbeiten. Das Fazit der Forschenden lautet: „Frauen leben Landwirtschaft!“ Sie erfüllen wichtige Rollen in vielen Bereichen der Höfe – von der Pflege des Geländes und des Hauses bis zur Feldarbeit, von der Tierhaltung bis zur Geschäftsführung.

Die Hofnachfolge tritt meist der Sohn an

Die Studie zeigt aber auch: Die Gleichstellung der Geschlechter ist in den landwirtschaftlichen Betrieben noch lange nicht erreicht. Denn obwohl Frauen auf den Höfen eine tragende Rolle spielen, ist die Landwirtschaft nach wie vor eine männlich dominierte Branche. Nur jeder neunte landwirtschaftliche Betrieb wird von einer Frau geleitet. Ein Grund: Besonders in den westlichen Bundesländern wurden Familienbetriebe früher überwiegend an den Sohn und nicht an die Tochter übergeben. Hier ist erfreulicherweise ein Wandel erkennbar, da heutzutage immer mehr Betriebsleiter eine Tochter zur Hofnachfolgerin bestimmen. So planten im Jahr 2020 18 Prozent der zur Hofübergabe befragten Einzelunternehmen eine Hofübergabe an ihre Tochter.

Doch abgesehen von einer männlich geprägten Landwirtschaftswelt gibt es noch andere äußere Einflüsse, die sich hemmend auf weibliche Karrieren in der Branche auswirken. Auch dafür gibt es Indizien in den Umfrageergebnissen. Die beiden belastendsten Aspekte für Frauen in der Landwirtschaft sind demnach das gesellschaftliche Image der Branche sowie die Planungsunsicherheit für große Investitionen im Betrieb.

Aufklärung, Beratung, Mentoring

Was kann getan werden, um mehr Frauen für die Landwirtschaft zu begeistern und deren Arbeitssituation zu verbessern? Die Forscherinnen und Forscher der BMEL-Studie haben auf Basis der Studienergebnisse Handlungsempfehlungen herausgearbeitet. Potenzielle Hofnachfolgerinnen sollen durch spezielle Lehrgänge und Netzwerkangebote gefördert werden. Frauen, die keinen Hof erben, benötigen niedrigschwellige Förderprogramme und Beratungsangebote zur Existenzgründung. Zudem sollen alle Frauen durch Mentoring-Projekte unterstützt werden. Wie wichtig eine Mentorin für den Karriereweg in der Landwirtschaft sein kann, erzählt die Hähnchenhalterin Kristin Schulz in der aktuellen Folge unseres Rausgepickt-Geflügelpodcasts.

Zudem empfiehlt das Forscherteam Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben, sich frühzeitig um ihre soziale Absicherung zu kümmern – und die Versicherungsträger sollen aktiv auf mögliche Versorgungslücken aufmerksam machen. Zu Themen wie Risiken am Arbeitsplatz oder Regelung der Arbeitszeiten soll es mehr Aufklärung und Beratung geben, um Unsicherheiten und Vorbehalte abzubauen. Außerdem soll die öffentliche Infrastruktur im ländlichen Raum gestärkt werden, damit er weiterhin attraktiv für junge Menschen bleibt. Und es ist für die Geschlechtergerechtigkeit wichtig, regelmäßig Erhebungen zu den bezahlten und unbezahlten Aufgaben der Frauen in der Landwirtschaft durchzuführen, um auf Missstände aufmerksam zu machen und Verbesserungen planen zu können.

Starke Geflügelbranche für starke Frauen

Ein wichtiger Aspekt, der jedoch nicht explizit in die Handlungsempfehlungen aufgenommen wurde, ist die Planungssicherheit. Wie oben bereits erwähnt, zählen fehlende Gewissheiten in der Betriebsplanung zu den größten Sorgen von Frauen in der Landwirtschaft – das gleiche darf für die Männer der Branche angenommen werden. Die ambitionierten Ziele der Bunderegierung für die Landwirtschaft, insbesondere für die Tierhaltung, sind mit hohen Kosten für die Betriebe verbunden. Für diese Investitionen brauchen Landwirtinnen und Landwirte Unterstützung aus der Politik und die Gewissheit: Das wird sich auszahlen. Ohne Investitions- und Planungssicherheit durch einen gut abgesteckten Finanzierungsrahmen wird die Geflügelbranche ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Weitere Höfe müssten schließen und die Geflügelproduktion für den deutschen Markt würde sich ins Ausland verschieben – und ohne existierende Höfe wäre eine Diskussion um die Stärkung von Frauen in der Landwirtschaft obsolet. Und nur eine starke Geflügelbranche kann attraktive Arbeitsplätze für starke Frauen bieten.

Menschen & Geschichten

Innovationsgeist beflügelt: Hähnchenhalter Erwin Beisl ist Ceres Award-Finalist 2022

Erwin Beisl hat die Geflügelhaltung buchstäblich auf ein neues Level gebracht: Er bietet seinen 70.000 Masthähnchen erhöhte Sitzpodeste im Stall, die aus eigener Entwicklung und Herstellung stammen. Für diesen Innovationsgeist in Sachen Tierwohl wurde der 42-jährige Landwirt aus dem niederbayerischen Marklhofen mit dem Ceres Award 2022 nominiert.

Mit der großen Aufmerksamkeit für seine Erfindung hätte Erwin Beisl selbst nie gerechnet. Doch seinem beruflichen Umfeld war das Potential der Podeste schnell bewusst: „Es war Dr. Josef Bachmeier, Chef der Brüterei bei uns, der die Uni München an mich verwiesen hat. Die sind dann mit einer Kamera gekommen und haben untersucht, was die Stallumbauten für einen Einfluss auf die Tiere haben, wieviel Prozent da hinaufgehen, wie sie sich verhalten. Die Resonanz war sehr positiv.“ Kurze Zeit später berichtete das Landwirtschaftliche Wochenblatt über Beisl. Die Redakteurin des Beitrags machte ihn auf den Ceres Award aufmerksam – für den Beisls Ehefrau kurzerhand die Bewerbungsunterlagen ausfüllte.

Unter den drei Finalisten gelandet zu sein, ist für Beisl mehr als nur eine Ehre. Es ist auch ein willkommener Anlass für seine Öffentlichkeitsarbeit. Denn der Landwirt setzt sich leidenschaftlich für ein besseres Image seiner Branche ein. Um ein authentisches Bild der modernen Landwirtschaft zu vermitteln, setzt er vor allem auf Transparenz: Jeder ist herzlich dazu eingeladen, Beisls Hof zu besichtigen. Neben Hähnchen hält er traditionell Rinder, zudem betreibt er eine Biogasanlage. Regelmäßig empfängt der Landwirt Schulklassen und andere Gruppen bei sich, um ihnen alles zu zeigen.

Eine Win-win-Situation für Landwirt und Geflügel

Durch Besucherfenster im Vorraum kann man nun auch die Podeste in den Hähnchenställen bewundern. Was war eigentlich der Anlass für ihre Konstruktion? „Die Idee ist 2018 durch unsere Zusammenarbeit mit der Initiative Tierwohl entstanden“, berichtet Beisl. Denn um mit dem Siegel der Initiative Tierwohl ausgezeichnet zu werden, ist ein vergrößertes Platzangebot für die Tiere vorgeschrieben. Genau diese Möglichkeit schufen die Podeste, indem sie einen Hinzugewinn von 10 Prozent Fläche ermöglichten. Zusatznutzen: Den Hähnchen bieten sich mehr Bewegungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, da sie die Rampen zu den Podesten hinauf- und hinabhüpfen können. Tierverhalten und -gesundheit profitieren von der neuen Stallstrukturierung. „Eine Win-win-Situation“, bestätigt Erwin Beisl.

Für den Landwirt ist der Stallumbau ein weiterer Schritt hin zu einem Betrieb der Zukunft. Denn dass die Landwirtschaft sich wandeln müsse, steht für ihn außer Frage. Für ihn persönlich bedeutet das ein Mittelweg zwischen konventioneller Tierhaltung und Bio. Zudem helfen immer mehr digitale Technologien bei der täglichen Arbeit. „In jedem Stall steht ein Laptop, all unsere Daten werden erfasst, wir sind komplett nachvollziehbar. Die technischen Innovationen werden immer interessanter, und die Betriebe der Zukunft müssen auf diesen Zug mit aufspringen.“ Beisl sieht jedoch auch die Grenzen der Technik: „Ohne Menschen wird es nie gehen. Es wird immer jemand gebraucht, der ein Gespür dafür hat, wie es dem Tier geht, ob ist es zu kalt oder zu warm ist, ob der Schnabel rot oder der Kamm lila ist.“

Starke Akteure müssten ein realistisches Bild der Branche zeigen

Um die Anstrengungen der deutschen Landwirte mit ihren hohen Qualitätsansprüchen der Öffentlichkeit besser zu vermitteln, würde sich Beisl mehr Unterstützung von starken Akteuren wünschen. Dazu zählt für ihn der Lebensmitteleinzelhandel. Dieser müsse ein realistischeres Bild der Lebensmittelproduzenten vermitteln. „Wir Erzeuger sind die ersten in der Kette, stehen mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern aber am wenigsten in Verbindung. Ich versuche ja schon allen, die zu uns auf den Hof kommen, die Abläufe und Zusammenhänge zu erklären – aber das sind nur kleine Schritte. Die großen Schritte müsste man miteinander gehen.“

An die Politik hat er einen ganz einfachen Wunsch: weniger ideologiegetriebene Entscheidungen, mehr Praxiskenntnis. „Ich wollte meine Ställe eigentlich für die noch höhere Haltungsstufe 3 ausbauen“, so Beisl. „Aber ich dürfte es momentan vom Bau- und Emissionsrecht her nicht, da sich Freilaufflächen für das Geflügel negativ auf unseren CO2-Fußabdruck auswirken würden.“ Hier treffen widerstreitende politische Interessen aufeinander, die die moderne Landwirtschaft offensichtlich ausbremsen. Ein weiterer Punkt ist die Finanzierung von Stallumbauten und anderen Neuerungen, die für mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit sorgen. Hier habe die Borchert-Kommission bereits einige konstruktive Vorschläge erarbeitet, so Beisl. Eine Einigung hierüber scheint jedoch derzeit nicht in Sicht.

Nicht zuletzt ist aber auch eine höhere Wertschätzung der Gesellschaft für die hiesige Landwirtschaft und ihre hochwertigen Erzeugnisse essenziell. Eine Wertschätzung, die sich in einer entsprechenden Preisakzeptanz niederschlagen müsse. Ukraine-Krieg, Inflation, Energiekrise – all das sorgt zurzeit jedoch für eine große Sensibilität beim Lebensmitteleinkauf. Doch Beisl wird den eingeschlagenen Weg unbeirrt weitergehen. „Landwirt ist immer noch der schönste Beruf der Welt.“ Wieviele Generationen vor ihm den Familienbetrieb geführt haben, kann er gar nicht sagen. „Der Hof war schon immer da! Natürlich ist man auch stolz auf das Geschaffene, möchte es erhalten und weiterführen.“

Geflügelzukunft on tour

Reden hilft: Dialog beim Parteitag der Grünen
Reden hilft: Dialog beim Parteitag der Grünen

Es ist immer besser, miteinander zu reden statt übereinander – umso mehr, wenn man sich inhaltlich nicht immer einig ist. Wir danken für einen kritischen, aber fairen Austausch auf dem Bundesparteitag der Grünen in Bonn – hier geht’s zu den schönsten Impressionen.

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Gewusst, wie

Damals, heute und morgen: So viele Menschen ernährt ein Landwirt
Damals, heute und morgen: So viele Menschen ernährt ein Landwirt

Deutsche Landwirte verbuchen seit Mitte des letzten Jahrhunderts enorme Produktions- und Effizienzsteigerungen. Moderne Technik und Digitalisierung sorgen für immer höhere Erträge auf den Äckern und in den Ställen. Der Wandel bringt aber auch Herausforderungen, die in Zukunft noch wachsen werden – für die Branche selbst wie auch für die Politik, die die Transformation begleitet.

Die Landwirtschaft in Deutschland hat ihre Effizienz in den letzten Jahrzehnten massiv gesteigert. Im Jahr 1960 ernährte ein Landwirt im Schnitt 17 Menschen, bis heute hat sich die Zahl laut „Bundesinformationszentraum Landwirtschaft“ auf 139 verachtfacht. Ein Blick in einen modernen landwirtschaftlichen Betrieb verrät schnell, wie der Effizienzsprung möglich war – durch technologischen Fortschritt und Digitalisierung sowie die Professionalisierung des Personals. Aus Bauernweisheiten und Schweißarbeit ist Smart Farming mit moderner Technik geworden. Durch diesen Wandel steigt die Ernte- beziehungsweise Produktionsmenge in allen Bereichen: mehr Getreide, mehr Kartoffeln, mehr Futtermittel, mehr Fleisch, mehr Eier, mehr Milch. Die Landwirtschaft kann also heute mehr Menschen ernähren – und Prognosen zeigen: es werden tendenziell noch mehr werden.

Die Weltbevölkerung wächst stetig – bis 2050 werden voraussichtlich beinahe 10 Milliarden Menschen auf unserem Planeten leben. Die Vereinten Nationen sagen voraus, dass die Nahrungsmittelproduktion bis dahin um 70 Prozent gesteigert werden muss, um Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Aber: Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe wird voraussichtlich nicht mitwachsen, sondern weiter sinken. Kleine Betriebe sind den anstehenden Herausforderungen oft nicht gewachsen: Der Umbau zu höheren Tierhaltungsstufen ist mit gewaltigen Kosten verbunden, ebenso die Maßnahmen zur Digitalisierung und die Anschaffung moderner Technologie. Und neben den Finanzen fehlen auch immer mehr Betrieben die Fachkräfte. Es wird in den nächsten Jahren also voraussichtlich zu weiteren Betriebsschließungen und -zusammenschlüssen kommen, um alle Menschen mit genügend Lebensmitteln zu bezahlbaren Preisen versorgen zu können.

Nachhaltigkeit durch technische Innovation

Kritiker behaupten häufig, dass der Strukturwandel in der Landwirtschaft zulasten von Tieren und Umwelt gehe. Das Gegenteil ist der Fall: Agrarbetriebe können trotz gestiegener Betriebsgrößen und Produktionsmengen auch nachhaltiger wirtschaften. Dank moderner Technik können sie bodenschonender arbeiten, sie verbrauchen weniger Dünger, Pflanzenschutzmittel und Energie – und sie können Tiergesundheit und Tierwohl verbessern.

So investieren beispielsweise moderne Betriebe in Ställe, die den Tieren mehr Platz und mehr Beschäftigungsmöglichkeiten bieten – und ein besseres Stallklima dank intelligenter Belüftungsanlagen. Mehr als 80 Prozent der Hähnchen- und Putenhalter in Deutschland sind Mitglied der Initiative Tierwohl und halten ihr Geflügel in Haltungsstufe 2 oder höher – und damit deutlich über den gesetzlichen Standards, die im internationalen Vergleich ohnehin sehr hoch sind. Moderne Tierhaltung kann also sehr zum Wohl der Tiere beitragen, weil letzteres gerade nicht von der Bestandsgröße, sondern vielen anderen Faktoren abhängt – zu diesem Schluss kommt auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz. Wo Technologie und Automatisierung bei Bürokratie und Verwaltung unterstützen, bleibt Tierhaltern letzten Endes auch mehr Zeit, sich ihren Tieren selbst zuzuwenden.

Mehr Kommunikation, mehr politische Unterstützung

Aber der Strukturwandel hat auch Schattenseiten: Landwirtschaft und Gesellschaft haben sich über die Jahre immer mehr entfremdet. In den 1890er Jahren lebten circa 5.000 Kühe in Berlin. Heute gibt es gefühlt so viele Burger-Läden in der Stadt, aber keine Kuh weit und breit. Die kuhlose, aber mit Cheeseburgern gefüllte Hauptstadt steht sinnbildlich für den historischen Wandel. Auch für die Geflügelhaltung gilt: Die meisten Menschen haben oft nur noch Kontakt mit landwirtschaftlichen Produkten, aber nur wenig Ahnung von der Arbeit dahinter. „Daher ist es immens wichtig, dass die Kommunikation zwischen Landwirten und der Bevölkerung kontinuierlich verbessert wird – dass wir noch mehr und besser erklären, was wir tun“, sagt ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke. „Damit die Bevölkerung ein korrektes Bild von Acker- und Stallarbeit erhält und Landwirte die Wertschätzung bekommen, die sie verdient haben.“

Zu diesem authentischen Bild gehört der immer härtere globale Wettbewerb, in dem sich die heimischen Betriebe behaupten müssen – und der gerade für viele kleine Höfe in der Vergangenheit das Aus bedeutet hat. 1950 gab es zwei Millionen Bauernhöfe in Deutschland – Stand heute: rund 257.000. In anderen Worten: Die verbliebenen heimischen Landwirte müssen auch immer mehr Menschen ernähren. „Die Verantwortung unserer Branche für die Ernährungssicherheit ist größer und wiegt schwerer denn je – gerade in Zeiten von Klimawandel, globalen Lieferketten, politischen Konflikten und historischen Preissteigerungen, die Verbraucher wie auch Produzenten massiv belasten“, sagt ZDG-Präsident Ripke.

Umso wichtiger findet er, dass die Politik heimischen Landwirten den Rücken stärkt und die Produktion am Standort Deutschland zukunftsfest aufstellt: mit einer soliden Finanzierung für Stallumbauten zugunsten des Tierwohls, mit fairen branchenspezifischen Anforderungen an die künftige staatliche Haltungskennzeichnung, mit einer verpflichtenden Herkunftskennzeichnung für den bislang sehr intransparenten Außer-Haus-Verzehr. Ripke: „Wenn die Politik auch diese Versprechen einlöst, können unsere Landwirte die Menschen in Deutschland auch künftig mit einem wertvollen, verantwortungsvoll produzierten Lebensmittel versorgen.“

Der Gegencheck

Klimasünder Landwirtschaft? Genauer hinschauen!

These: „Die Landwirtschaft gehört zu den größten Klimakillern!“

Häufig begegnet insbesondere Nutztierhaltern in Deutschland der Vorwurf, zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen zu zählen. Die Vorstellung von Rindern, die landauf, landab riesige Methanwolken pupsen, ist allgegenwärtig. Doch neuere Studien widerlegen das Bild von der Kuh als Klimakiller. So ist Methan zwar eines der Haupttreibhausgase, hat gegenüber CO2 jedoch einen entscheidenden Vorteil: Es baut sich nach rund zehn Jahren ab. Methan hat damit keinen wachsenden negativen Effekt auf das Klima, denn es verbleibt in einem stetigen Kreislauf. Zu dieser Erkenntnis kommt Prof. Dr. Frank Mitloehner, Agrarwissenschaftler an der University of California in Davis in einer umfassenden Studie. Die von Rindern produzierte Methanmenge wird demnach im gleichen Zeitraum auch wieder abgebaut.

 

Heimisches Geflügel mit guter Ökobilanz

 

Dennoch gibt es in der Nutztierhaltung große Unterschiede bei der Ökobilanz der verschiedenen Fleischsorten. So sind Emissionen von Tiergruppen wie Geflügel „vernachlässigbar“, wie das Umweltbundesamt bestätigt. Tatsächlich schneidet Geflügelfleisch im Vergleich zu anderen Fleischarten sehr gut ab. Vom Schlupf über die Aufzucht bis zur Schlachtung und Verarbeitung kann die deutsche Geflügelwirtschaft durch eine ressourcenschonende Erzeugung ihren ökologischen Fußabdruck so gering wie möglich halten. Zur guten Bilanz tragen neben niedrigen CO2-Emissionen und geringem Wasserverbrauch auch dezentrale Strukturen innerhalb der Erzeugungskette bei, die kurze Transportwege garantieren. Die Digitalisierung, der Einsatz erneuerbarer Energien und überwiegend heimisch erzeugtes Futter eröffnen weitere Perspektiven für noch mehr Klimaschutz bei der Geflügelfleischerzeugung. Mit einem bewussten Einkauf von heimisch produziertem Geflügel können sich Verbraucherinnen und Verbraucher also nicht zuletzt auch für mehr Klimaschutz entscheiden.

Erfreulich vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels: Insgesamt sind die Emissionen von 1990 bis 2021 in Deutschland über alle Sektoren hinweg um knapp 39 Prozent gesunken. Wahr ist aber auch: Das reicht nicht. Das Ziel für 2030 ist ein Minus von 65 Prozent. Im Vergleich von 2021 zu 2020 war zuletzt sogar wieder ein Anstieg zu verzeichnen – vor allem, weil – so das Umweltbundesamt – der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht so schnell vorankommt wie erhofft, weil immer noch viel mit Öl und Gas geheizt und Energie verschwendet wird. Das wirkt sich auch auf die Landwirtschaft aus. Sie ist unter der Jahresemissionsmenge geblieben, die für 2021 im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegt war und kam zuletzt insgesamt weniger schnell bei der Reduktion voran als andere Sektoren.

 

Mehr Einsparpotential in anderen Wirtschaftsbereichen

 

Natürlich haben alle Branchen – wie auch die privaten Haushalte – eine Verantwortung, das ihnen Mögliche zu tun, um ihre Emissionen weiter zu senken. Auch Deutschlands Geflügelhalter schreiten in ihrem Bemühungen um mehr Klimaschutz weiter engagiert voran: Viele Produzenten gehen dazu über, die benötigte Energie aus ihrem eigenen Stoffkreislauf zu nehmen, ihre Verbräuche zu senken und sich damit auch ein Stück von den volatilen Preisen an den Energiemärkten abzukoppeln. Nach vorläufigen Zahlen des Bundesumweltamtes hatte die Landwirtschaft im Jahr 2021 jedoch einen Anteil von nur acht Prozent an den Gesamt-Treibhausgasemissionen. Zum Vergleich: Die Energiewirtschaft kam auf 32,5 Prozent, die Industrie auf 23,8 Prozent, der Verkehrssektor auf 19,4 Prozent und die Gebäudewirtschaft auf 15,2 Prozent. Der insgesamt überschaubare Anteil der Landwirtschaft an den Sektoren-Emissionen macht also deutlich: Wenn es um Einsparpotenzial geht, liegen die wesentlichen Stellschrauben in anderen Bereichen.

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