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Neues aus der Geflügelfleischwirtschaft Juli 2022
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Trügerische Sommer-Idylle: Jetzt auf den Herbst vorbereiten!

Trügerische Sommer-Idylle: Jetzt auf den Herbst vorbereiten!

Endlich Sommer, Sonne, Urlaubszeit – doch die „saisonale“ Unbeschwertheit früherer Jahre will sich nicht recht einstellen. Die Corona-Pandemie ist nicht zu Ende. Russlands Regime hält mit seinem Krieg gegen die Ukraine Weltpolitik und -wirtschaft im Würgegriff. Mensch und Natur bekommen den Klimawandel hautnah zu spüren. Verbraucher und Wirtschaft ächzen unter explodierenden Energie-, Rohstoff- und Lebenshaltungskosten.

In Deutschland scheint die Politik vor lauter Krisenmanagement die Zukunft aus dem Blick verloren zu haben – mit verheerenden Folgen auch für unsere Geflügelfleischwirtschaft. Exogene Schocks wie der Krieg oder die Pandemie wirken wie ein Brandbeschleuniger in einer Branche, die durch die Anforderungen an den Umbau der Nutztierhaltung, einen unfairen Wettbewerb sowie immer höhere Kosten und Auflagen seit längerem am Rande ihrer Kräfte ist. Und die bislang vergeblich auf nennenswerte Unterstützung aus der Politik hofft. Eine Betriebsleiterin aus Brandenburg berichtet in diesem Newsletter eindringlich, was das für ihren Alltag bedeutet.

Noch haben wir Zeit, uns auf einen heißen – oder mit Blick auf die Energieproblematik leider eher kalten – Herbst einzustellen. Als Branchenvertreter klären wir auf, entwerfen praxistaugliche Vorschläge und geben Empfehlungen ab: wie bei Gas-Lieferstopps vorzugehen ist, wie sich Tierwohl-Umbauten solide gegenfinanzieren lassen und wie eine Herkunftskennzeichnung für Fleisch zum „Win-Win“ für Verbraucher und heimische Erzeuger werden kann. Aber wir können all dies nicht ohne Unterstützung realisieren. Sommerpause hin oder her: Die Lage ist zu ernst für eine agrarpolitische Hitzepause. Wir müssen jetzt gemeinsam und hellwach handeln. Sonst droht uns allen bald ein böses Erwachen.

Ihr Friedrich-Otto Ripke

 

Im Fokus: Preise und Versorgungssicherheit

Gas-Notfall: Wohl der Tiere und Versorgungssicherheit in Gefahr

Gas-Notfall: Wohl der Tiere und Versorgungssicherheit in Gefahr

Russland nutzt die Gas-Abhängigkeit der EU, um sie im Ukraine-Krieg unter Druck zu setzen. Was, wenn Gas-Lieferungen bald komplett ausbleiben? Die Politik muss Vorkehrungen treffen, fordert die energieintensive Geflügelfleischwirtschaft. Es steht viel auf dem Spiel.

Stefan Teepker scheut sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Den Vorsitzenden des Bundesverbandes bäuerlicher Hähnchenerzeuger e.V. (BVH) treibt die Sorge um, dass Russland der Europäischen Union den Gashahn komplett abdrehen könnte. Teepker sagt: „Die nationale Ernährungssicherheit steht auf dem Spiel, wenn es im Energiebereich tatsächlich zu Ausfällen kommen sollte. Unsere Branche trägt seit Jahren einen wesentlichen Teil dazu bei, dass die Bevölkerung mit Fleisch versorgt wird. Das können wir dann nicht mehr garantieren.“

Der Knackpunkt: Die Geflügelfleischwirtschaft ist entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette auf Gas als Wärmelieferant angewiesen. Und weil Schlupf, Aufzucht und Mast des Geflügels sowie Futtermittelproduktion und Verarbeitung unmittelbar miteinander verzahnt sind, ziehen selbst punktuelle Störungen der Energieversorgung gravierende Konsequenzen auch bei den nachgelagerten Prozessen nach sich. Ganz am Anfang dieser Kette wirken sie sich besonders verheerend aus. Teepker: „Müssten wir aufgrund von fehlendem Gas den Brutvorgang unterbrechen, würden wir millionenfach ungeschlüpftes Leben zum Tode verurteilen. Das ist laut Grundgesetz völlig zu Recht verboten.“

Bleiben Supermarktregale bald leer?

Nicht zuletzt müssen sich Verbraucher darauf einstellen, dass sie im Fall eines Gas-Engpasses Frischfleisch und verarbeitete Fleischprodukte in den Supermarktregalen vergeblich suchen. Gerade in Zeiten, da die Ernährungssicherheit wieder verstärkt ins öffentliche Bewusstsein rückt und Deutschland sich unabhängiger von globalen Lieferketten machen will, kann das niemand wollen. Aus diesen beiden Gründen – Tierschutz und Ernährungssicherheit – fordert der Hähnchenhalter stellvertretend für die Branche nachdrücklich: Die deutsche Geflügelwirtschaft muss als Teil der kritischen Infrastruktur bei der Gasversorgung vorrangig behandelt werden. In seiner Funktion als Verbandschef der niedersächsischen Geflügelwirtschaft hat auch ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke diese Forderung gemeinsam mit deren Geschäftsführer Dieter Oltmann jüngst in einem Brief an die Bundesnetzagentur dargelegt.

Die Warnungen sind offenkundig mehr als berechtigt: In der EU kommt schon jetzt viel weniger Gas aus Russland an. Die EU-Kommission hat den Mitgliedsstaaten zuletzt nahegelegt, ihre Gasnachfrage in den kommenden Monaten prophylaktisch um 15 Prozent zu senken, und nach erstem Widerstand und mit diversen Ausnahmeregelungen haben sich die Mitgliedsländer hierauf geeinigt. Ziel ist es laut EU-Kommission, bei einem weiteren Rückgang der Gaslieferungen die Versorgung von Haushalten und systemrelevanten Nutzern wie Krankenhäusern sicherzustellen, „aber auch von Branchen, die Produkte herstellen und Dienstleistungen erbringen, die für die Wirtschaft, die Lieferketten und die Wettbewerbsfähigkeit der EU von zentraler Bedeutung sind“.

Sogenannte „schutzbedürftige Kunden“ festzulegen, die bei der Zuteilung von Gas mit Priorität behandelt werden, obliegt allerdings den Mitgliedsstaaten selbst. „Wir hoffen, dass Deutschland hier zeitnah zu einer umsichtigen und klugen Priorisierung kommt, die dem Ziel der heimischen Ernährungssicherheit Rechnung trägt“, so Ripke.

Bedrohliche Preisspirale: Erzeuger und Verbraucher sind nicht unendlich belastbar

Bedrohliche Preisspirale: Erzeuger und Verbraucher sind nicht unendlich belastbar

Die Preise für Energie, Rohstoffe und Lebensmittel gehen durch die Decke – ein Ende ist nicht in Sicht. Politischer Realitätssinn ist gefragt: Immer höhere Anforderungen und Auflagen für Ernährungs- und Landwirtschaft dürfen Verbraucher wie auch Erzeuger nicht überfordern!

Nicht erst seit Beginn des Kriegs in der Ukraine dreht sich die Preisspirale nach oben. Insbesondere die Energie- und Lebensmittelpreise hatten bereits mit der Erholung der Weltwirtschaft nach dem Einbruch in der Corona-Pandemie wieder angezogen. Zuletzt haben die Anti-Corona-Maßnahmen in China den Auftrieb weiter verstärkt. Die Inflation in der Eurozone hat im Juni mit 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat einen neuen Rekordwert erreicht.

Dass das der Bevölkerung zunehmend an die finanzielle Substanz geht, zeigt sich im Supermarkt: Beim Einkauf schauten die Verbraucher aktuell sogar stärker auf den Preis als auf den Geschmack von Lebensmitteln, hat eine Umfrage im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) ergeben.

Diese Realitäten sollte die Politik im Blick haben, wenn sie der Landwirtschaft immer höhere Auflagen und ambitioniertere Ziele verordne, sagt ZDG-Präsident Friedrich-Otto Ripke. „Die Bevölkerung ist finanziell nicht unendlich belastbar!“ Qualität und Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln sei wichtig, aber bei Preissteigerungen müssten Maß und Mitte gewahrt bleiben. Der ZDG verweist darauf, dass 90 Prozent der Nachfrage nach Geflügelfleisch aus der Haltungsstufe 2 der privatwirtschaftlichen Initiative Tierwohl komme – ein tierwohlgerechter und dabei erschwinglicher Standard. „Verbraucher lassen sich bei Fleisch nicht in immer höhere Haltungsstufen hineinzwingen, die sich viele einfach nicht leisten können“, so Ripke.

Energie und Futter: Auch Kosten der Fleischproduktion extrem gestiegen

Auch aus Sicht der heimischen Erzeuger ist die Entwicklung besorgniserregend. Die Preiserhöhungen, die die Verbraucher im Einzelhandel so schmerzhaft zu spüren bekommen, kommen nur zu einem kleinen Teil als höhere Erlöse bei ihnen an, während die Fleischproduktion selbst massiv von den steigenden Energie- und Rohstoff- beziehungsweise Futterkosten betroffen ist. Deshalb sei die Branche mehr denn je auf die Solidarität in der Wertschöpfungskette angewiesen, macht ZDG-Präsident Ripke in Richtung des Lebensmitteleinzelhandels deutlich. „Wenn die Futter- und die Energiekosten weiter so steigen, dann können wir mit den vereinbarten Erzeugerpreisen nicht mehr über das laufende Jahr kommen. Dann werden Betriebe aufgeben müssen“, sagte er „top agrar“ bereits im Juni dieses Jahres.

Seitdem hat sich die Lage weiter zugespitzt: Der Bundesverband bäuerlicher Hähnchenerzeuger (BVH) hat berechnet, dass die sogenannten variablen Kosten in der Hähnchenmast – dazu zählen neben Strom und Gas unter anderem auch die Kosten für Ersatzteile, Personal oder Einstreu – für einen Standard-Stall mit 1.800 Quadratmetern im Zeitraum des ersten Halbjahres 2022 um fast 100 Prozent gestiegen sind, sich also nahezu verdoppelt haben. Die Futterkosten waren hier noch nicht eingerechnet: Lagen sie im Jahr 2021 noch bei rund 400.000 Euro für einen Standard-Stall, werden es den Schätzungen zufolge im Jahr 2022 voraussichtlich über 525.000 Euro sein.

Umbau der Nutztierhaltung: Politik muss ihren Finanzierungsstreit endlich beilegen

„Vor diesem Hintergrund sollte die Politik sorgsam abwägen, wie viel an Mehrbelastungen sie Bevölkerung und Wirtschaft noch zumuten kann“, sagt Ripke. Will die Bundesregierung an ihren ambitionierten Umbauzielen für die Nutztierhaltung festhalten, muss klar sein: Mit den jährlich vier bis sechs Milliarden Euro Kosten, die der Umbau von Tierwohlställen und insbesondere der laufende Betrieb in höheren Haltungsformstufen verursachen wird, kann sie die Tierhalter nicht allein lassen – und sie über höhere Preise komplett auf die Verbraucher umzuwälzen, ist ebenfalls keine realistische Option.

Der ZDG spricht sich stattdessen für ein Mischmodell aus: Zusätzlich zu einer marktfinanzierten Tierwohlabgabe könnte das Bundesfinanzministerium dem Landwirtschaftsministerium beispielsweise jährlich zweckgebundene Haushaltsmittel zuweisen, die den Landwirten zugutekommen – idealerweise verknüpft mit der Zusage, dass ihnen der Mehrkostenausgleich über einen Zeitraum von 20 Jahren garantiert wird. Für solch eine Kompromisslösung müssten die Ampel-Koalitionspartner aber ihre andauernden politischen Streitigkeiten überwinden, mahnt Ripke. „Es ist höchste Zeit dafür.“

Menschen & Geschichten

Geflügelhalter im Dauer-Krisenmodus: „Bald brauchen wir nicht mehr einzustallen“

Geflügelhalter sind es gewöhnt, flexibel auf veränderte Marktlagen zu reagieren. Die Krisen, mit denen sie es aktuell zu tun haben, fordern sie jedoch wie noch nie. Eine Betriebsleiterin berichtet, wie sie mit den Folgen von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg umgeht – und was sie jeden Tag motiviert. 

Seit zweieinhalb Jahren steht die Welt Kopf. Auch die von Kristin Schultz. Die 35-Jährige ist Betriebsleiterin zweier Hähnchenmast-Anlagen, einer im nördlichen Brandenburg und einer in Zierzow in Mecklenburg-Vorpommern. Die gelernte Industriekauffrau managt mit sechs Mitarbeitern insgesamt 14 Ställe – und seit dem Beginn der Corona-Pandemie bedeutet das im Alltag immer wieder Krisenmanagement. „Mit dem ersten Lockdown brach für unsere Abnehmer, die Schlachthöfe, das Großhandelsgeschäft in Deutschland weg, sie mussten auf den Export ausweichen“, berichtet sie. Vor der Krise hatte sie alle drei Monate mit ihnen die Preise verhandelt. In der Corona-Zeit gab es zeitweise jede Woche Video-Calls – und meistens hatte Betriebsleiterin Schultz dabei das Nachsehen: Die Abnahmepreise fielen und fielen, weil die Schlachthöfe im Ausland weniger erlösen konnten als hierzulande.

Der Strohhalm, an den sie sich damals klammerte: „Die Menschen gehen nicht mehr ins Restaurant oder zu Veranstaltungen wie dem Oktoberfest, aber zumindest zu Hause müssen sie doch etwas essen!“ Und tatsächlich: Mit Fortschreiten der Pandemie stieg die Verbrauchernachfrage nach Geflügelfleisch insbesondere höherer Haltungsstufen. „Das Geld, das die Leute nicht für Urlaub ausgeben konnten, hatten sie offenbar für Premium-Lebensmittel übrig.“ Schultz‘ Betriebe sind Mitglied in der privatwirtschaftlichen Initiative Tierwohl (ITW) und produzieren Fleisch der Haltungsformstufe 2, „StallhaltungPlus“. Kurz habe sie damals darüber nachgedacht, auf eine noch höhere Stufe umzusteigen, erzählt Schultz, die auch Vorsitzende der Erzeugergemeinschaft (EZG) Nordbroiler ist.

Preissteigerungen belasten Verbraucher und Erzeuger

Heute ist sie heilfroh, dass sie es nicht gemacht hat. „Der Mehrerlös, den wir durch die Umstellung erzielt hätten, stand damals schon in keinem Verhältnis zu den Kosten für den Umbau der Ställe und dem bürokratischen Aufwand.“ Vom dominierenden ITW-Standard, der Haltungsformstufe 2, ist sie sowohl unter Tierwohl- als auch unter ökonomischen Aspekten überzeugt. Und mit dem Premium-Hype ist es seit dem Ukraine-Krieg ohnehin vorbei: Wegen der Inflation halten Verbraucher ihr Geld zusammen und meiden auch hochpreisige Lebensmittel, der Absatz von Bio-Produkten im Bio-Fachhandel ist rückläufig.

Allerdings machen die Preissteigerungen auch vor den Fleischerzeugern nicht Halt, vor allem die Rohstoff- und Energiepreise sind seit Jahresbeginn explodiert. Beim Thema Energie hat Kristin Schultz noch Glück, weil ihre Betriebe länger laufende Lieferverträge für Strom und Gas vereinbart haben. Aber der Mischfutterpreis hat sich von rund 33 Euro vor der Pandemie auf zwischenzeitlich rund 64 Euro pro Doppelzentner verdoppelt, weil Mais und Weizen deutlich teurer geworden sind. Sogar bei den Aminosäuren, Vitaminen und Fetten für die Futtermischungen gab es satte Preisaufschläge.

Und es nimmt kein Ende. „Gefühlt jeden Tag öffne ich Briefe von Dienstleistern, die mit Verweis auf den Ukraine-Krieg ihre Preise erhöhen – bis hin zur Müllabfuhr“, berichtet sie. Mit den Schlachthöfen verhandelt sie derzeit im Vier-Wochen-Rhythmus die Abnahmepreise. Gleichzeitig steigen absehbar die Löhne für ihre Mitarbeiter, und auch bei ihren übrigen Kosten hat Schultz nur begrenzten Spielraum. „Ich halte nichts davon, an Desinfektionsmitteln zu sparen oder minderwertiges Futter zu kaufen – das geht nach hinten los, es schadet den Tieren und senkt den Ertrag“, erklärt sie.

Lehre aus der Ukraine-Krise: Abhängigkeit von Weltmärkten reduzieren

Weil sich die Futter- und Ausstallungspreise zuletzt etwas stabilisiert haben und Schultz vorausschauend gehandelt hat, stehen die von ihr gemanagten Betriebe wirtschaftlich aktuell noch einigermaßen gut da – allerdings haben sie zuvor auch anderthalb Jahre lang Geld verloren, und nun bräuchte es eigentlich dringend Reserven: Denn vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage blickt die Betriebsleiterin mit großer Sorge auf den Herbst. „Wenn sich der Gaspreis verdreifacht, brauchen wir auch nicht mehr einzustallen“, sagt sie. Die Abhängigkeit ihrer Branche von den Weltmärkten, die der Ukraine-Krieg schmerzhaft sichtbar gemacht hat, mache ihr Angst, sagt sie ganz offen. Sie denkt deshalb gerade darüber nach, Speichermedien anzuschaffen, um zumindest auch nachts auf eigene Stromreserven zurückgreifen zu können.

Ihren Branchenkolleginnen und Kollegen gibt Schultz den Rat, sich jetzt mit besonders viel Engagement um ihr Kerngeschäft zu kümmern – ihre Ställe sauber zu halten und gründlich zu desinfizieren, Wartungsstaus unbedingt zu vermeiden, die Stallisolierung zu optimieren. Am Ende ist ihr Beruf zwar Management, aber einer mit großer Verantwortung für Mensch und Tier, macht Schultz deutlich. Sie würde, Krisenmanagement hin oder her, keinen anderen machen wollen. „Ich kann mitgestalten, wie wertvolle Lebensmittel in Deutschland produziert werden. Das treibt mich jeden Tag aufs Neue an.“

Geflügelzukunft on air

BBQ-Event in Hannover: Information, Dialog und Genuss
BBQ-Event in Hannover: Information, Dialog und Genuss

Im Rahmen unserer Aktionstour „Eine Frage der Herkunft“ haben wir kürzlich zum großen BBQ-Event in Hannover geladen – mit Live-Kochshow, Musik-Acts und Gästen aus Politik, Landwirtschaft und Gastronomie. Hier sind die schönsten Impressionen. 

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Gewusst, wie

Warum Befürworter und Gegner der Nutztierhaltung nie zueinanderfinden
Warum Befürworter und Gegner der Nutztierhaltung nie zueinanderfinden

Wenn Fleischesser und Vegetarier oder Veganer über Nutztierhaltung diskutieren, endet dies in den seltensten Fällen mit einem Konsens oder Kompromiss. Die Wissenschaft, speziell die Tierethik, hat eine interessante Erklärung dafür.

Darf der Mensch über Tiere herrschen? Gibt es Lebewesen, die „moralisch“ mehr wert sind als andere – und wenn ja, nach welchen Kriterien oder Merkmalen wird das entschieden? Diskussionen über die Nutztierhaltung werden deshalb häufig so leidenschaftlich geführt, weil Befürworter und Gegner der Nutztierhaltung diese Fragen fundamental unterschiedlich beantworten.

Die Tierethik – als Teil der sogenannten Bioethik – betrachtet sie aus wissenschaftlicher Perspektive. Die Unvereinbarkeit der Positionen von Gegnern und Befürwortern führt sie darauf zurück, dass ihnen inkompatible Wertesysteme zugrunde liegen: Der sogenannte Egalitarismus der Nutztierhaltungsgegner trifft auf den Hierarchismus der Befürworter. Was verbirgt sich dahinter? Im egalitären Wertesystem stehen Mensch und Tier auf einer Stufe, folglich müssen sie in moralisch relevanter Hinsicht gleich behandelt werden. Das ist insbesondere für die Frage relevant, ob Tiere getötet werden dürfen.

Die Wissenschaft unterscheidet allerdings unterschiedliche Ausprägungen bei diesem Gleichheitsprinzip: Peter Singer als Mitbegründer der modernen Tierethik vertritt zum Beispiel den sogenannten schwachen Egalitarismus, wonach „der Tod für ein Wesen, das Selbstbewusstsein hat, Pläne für die eigene Zukunft schmieden kann oder fähig ist, sinnreiche Beziehungen mit anderen Lebewesen einzugehen, ein größeres Leid darstelle als für Wesen, die über diese Eigenschaften nicht verfügen“. Eine Gleichberechtigung sieht er also nur dort, wo es um (gleiche) Leidensfähigkeit geht – und gesteht zu, dass es Situationen gibt, in denen Menschen bei einer Interessensabwägung gegenüber Tieren Vorrang haben.

Das hierarchische System hingegen weist Tier und Mensch von vornherein unterschiedliche Stufen zu: Der Mensch ist den Tieren übergeordnet. Deshalb darf er sie auch für seine Interessen und Bedürfnisse nutzen. Auch diese Position wird wissenschaftlich in unterschiedliche Ausprägungen unterteilt. In Deutschland gilt – bei Anwendung des hierarchischen Wertesystems – die Ernährung als „vernünftiger Grund“, um ein Tier zu töten.

Der Mensch: Überlegen – aber nicht verantwortungslos

Als Geflügelfleischwirtschaft vertreten auch wir den hierarchischen Ansatz. Dabei ist wichtig zu wissen: Hierarchismus bedeutet eben nicht, dass Tieren kein moralischer Wert zugeschrieben wird. Natürlich stehen auch wir in der Verantwortung, unnötiges Leid zu verhindern und unsere Tiere artgerecht, mit Respekt und Anstand zu behandeln. Aber das schließt nach unserer Auffassung ihre Verwertung als Lebensmittel nicht aus. Die Nutztierhaltung sichert nicht nur die Ernährung der Bevölkerung, sondern ist eine jahrtausende alte Tradition und ein Kulturgut, das es zu bewahren gilt.

Die Branche hat in den vergangenen Jahren bereits große Tierwohl-Fortschritte gemacht und arbeitet jeden Tag daran, sich weiter zu verbessern. Eine starre Anti-Nutztier-Haltung hilft dabei nicht weiter: Die Nutztierhaltung von einen auf den anderen Tag abzuschaffen, verbessert das Tierwohl kein Stück. Um weitere Fortschritte für Mensch und Tier zu erreichen, hilft ein offener gesellschaftlicher Dialog, der sich konstruktiv-kritisch damit auseinandersetzt. Zusätzlich braucht es dann überzeugende Antworten und Hilfestellungen aus der Politik – Stichwort Unterstützung beim Umbau von Tierwohlställen oder auch die Herkunftskennzeichnung für Fleisch im Außer-Haus-Bereich: Denn wenn es uns nicht gelingt, die Nutztierhaltung in Deutschland auch langfristig wettbewerbsfähig aufzustellen, sind die bisherigen Errungenschaften unserer Branche für Tierwohl, Nachhaltigkeit und Qualität verloren.

Hier gibt es weiterführende Literatur zum hochspannenden und vielschichtigen Thema Tierethik.

 

Der Gegencheck

Putenhaltung in Deutschland: Schon jetzt Weltspitze

These: „Wir brauchen gesetzliche Mindeststandards in der Putenhaltung, um gute Bedingungen für die Tiere zu gewährleisten!“

 

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) will Mindestanforderungen für die Mastputenhaltung in die Nutztierhaltungsverordnung aufnehmen. Dass es bislang keine rechtsverbindlichen Standards gibt, lässt Kritiker mutmaßen, dass die tatsächlichen Bedingungen in der Putenhaltung in Deutschland bisher wohl zu wünschen übriglassen. Das entspricht aber nicht der Wahrheit: Die deutschen Putenhalter haben sich schon vor Jahren eine freiwillige Selbstverpflichtung gegeben – mit den sogenannten „Bundeseinheitlichen Eckwerten für eine freiwillige Vereinbarung zur Haltung von Mastputen“. Heute gehört die heimische Branche damit zur Weltspitze bei Qualitäts- und Tierwohlstandards: Außenklimaställe sind zum Beispiel längst die Regel, die Tierhalter nehmen regelmäßig an Fortbildungen teil, und die Besatzdichten in den Ställen liegen weit unter dem EU-Level. Eine echte Pionierleistung, auf die die Branche zu Recht stolz ist.

 

Die Kehrseite der Medaille: Die ausländischen Mitbewerber sind bis heute nicht nachgezogen. Ausländisches Putenfleisch drängt, häufig ohne jede Qualitätskontrolle und Rücksicht auf das Tierwohl erzeugt, zu konkurrenzlos günstigen Preisen auf den deutschen Markt. Wegen ihrer höheren Kosten haben die heimischen Erzeuger häufig das Nachsehen. Deshalb blicken sie mit Sorge auf das Vorpreschen Özdemirs: Sie befürchten, dass sich der teils bereits ruinöse Wettbewerb noch verschärft, wenn Deutschland die Anforderungen im nationalen Alleingang nochmals hochschraubt. Aus ihrer Sicht längst überfällig sind EU-einheitliche Regeln, die – orientiert an der Praxis der deutschen Halter – faire Wettbewerbsbedingungen für die Erzeuger im EU-Binnenmarkt schaffen.

 

Bis diese lang ersehnte EU-Lösung Realität wird, würde der Branche eine kombinierte Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für Fleisch helfen. Insbesondere im Außer-Haus-Bereich, wo der Großteil des produzierten Fleisches abgesetzt wird und es bisher nahezu keine Transparenz gibt, hat eine solche Kennzeichnung das Potenzial, die Leistungen der Putenhalter sichtbar zu machen und ihren hochwertigen Produkten die verdiente Wertschätzung zu verschaffen.

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