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Neues aus der Geflügelfleischwirtschaft August 2022
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Ideologie kann die Welt nicht ernähren!

Ideologie kann die Welt nicht ernähren!

Eine Haltung zu haben und sie standhaft zu vertreten: Das ist eine Tugend. Dabei offen zu bleiben für neue Argumente, die Augen auch vor unbequemen Realitäten nicht zu verschließen: Das ist die Königsklasse. Letztere Fähigkeit vermisse ich in der politischen und gesellschaftlichen Debatte seit geraumer Zeit schmerzlich. Wie starr insbesondere ein „grün“ geführtes Landwirtschaftsministerium in Ausnahmezeiten wie diesen an ideologisch motivierter Klientelpolitik festhält, besorgt mich zutiefst. Wir sind in einer historischen Krise: Ukraine-Krieg, Energieengpässe, Inflation. Die politischen Reaktionen darauf fallen mitunter so zögerlich aus, dass es an Realitätsverweigerung grenzt.

Einige Beispiele: Die weltweite Ernährungssicherheit ist in Gefahr – und hierzulande wird weiter das 30-Prozent-Ausbauziel für den Ökolandbau propagiert. Menschen starren im Supermarkt schon jetzt fassungslos auf ihre Kassenbelege – und die Bundesregierung arbeitet an einer „Ernährungsstrategie“, die der Bevölkerung vorschreiben will, sich um jeden Preis gesünder, nachhaltiger, ökologischer zu ernähren. Absehbare Gas-Engpässe in Herbst und Winter gefährden Versorgungssicherheit und Tierschutz. Aber die Verantwortlichen können sich nicht dazu durchringen, mit einer frühzeitigen Priorisierung bei der Zuteilung von Energie Planungssicherheit für die Erzeuger von wertvollen Lebensmitteln zu schaffen.

Dieser politische Starrsinn ist hochgefährlich. Es geht nicht darum, per se richtige Ziele für mehr Nachhaltigkeit, auch in der Nutztierhaltung, gänzlich über Bord zu werfen. Sondern um eine pragmatische, auch zeitliche Priorisierung der Maßnahmen, die es dafür braucht. Dazu gehört, Markt- und Lebensrealitäten anzuerkennen und die große Mehrheit der Menschen – wie auch die Wirtschaftszweige, die sie versorgt – mitzunehmen, anstatt realitätsfern eine kleine „Öko-Luxusbubble“ zu hofieren.

Die aktuelle Ausgabe unseres Newsletters bietet Argumente und Informationen für jene, die bereit sind, mit Realismus auf die drängendsten Themen der Land- und Ernährungswirtschaft zu blicken.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre.

Ihr Friedrich-Otto Ripke

Im Fokus: IDEOLOGIE VS. REALITÄT

Von wegen Mainstream: Schluss mit den Bio-Mythen

Von wegen Mainstream: Schluss mit den Bio-Mythen

Wer das Thema Bio-Ernährung und -landwirtschaft ohne ideologische Scheuklappen betrachtet, stellt schnell fest: Ihr Ruf ist in einiger Hinsicht besser als das, was sie wirklich zu leisten vermag. Die wichtigsten Bio-Mythen im Realitätsabgleich.

Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) kam vor einigen Wochen zu einer seltsam euphorischen Bewertung des Öko-Marktes. Bio sei „im Mainstream angekommen“, hieß es, und mehrere Fachmedien übernahmen das ungeprüft.

Bei genauerem Hinsehen stellt sich die Lage etwas anders dar. Tatsächlich verzeichnete der GfK Consumer Index für die ersten fünf Monate des Jahres 2022 im Bereich Bio einen deutlichen Umsatzrückgang von 3,2 Prozent. Zwar hat sich die Bevölkerung nicht komplett von Bio-Produkten abgewendet; sie kauft sie aber infolge der drastisch gestiegenen Lebensmittelpreise weitaus seltener im Naturkostladen oder Reformhaus, sondern eher im Supermarkt oder Discounter, wo sie deutlich günstiger sind.

Das macht klar: Auch die Zahlungsbereitschaft für das vermeintlich „gute Gewissen“ ist begrenzt, auch beim Sympathieträger Bio-Branche Differenzierung angebracht. „Wir brauchen dringend eine ideologiefreie Auseinandersetzung mit den Heilsversprechen der Öko-Nische“, sagt Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). „Ihr Fokus auf Tierwohl und Nachhaltigkeit ist richtig und aller Ehren wert, aber die Politik sollte nicht vergessen, was die originäre Aufgabe der Landwirtschaft ist: die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung mit verantwortungsvoll produzierten, dabei erschwinglichen Lebensmitteln zu sichern.“ Das könne die Bio-Branche allein nicht leisten.

Die wichtigsten Aspekte der Öko-Debatte im Realitätscheck.

Wie relevant ist der Bio-Markt wirklich?

Im Jahr 2020 haben Bio-Produkte unter 7 Prozent Anteil am Lebensmittelmarkt in Deutschland erzielt, in der Corona-Pandemie hatte die Nachfrage zuletzt (nur) temporär zugelegt. Davon, dass Bio „im Mainstream angekommen“ ist, kann angesichts dieses geringen Marktanteils nicht die Rede sein.

Das wiederum hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Preise für Bio-Produkte alles andere als „Mainstream“ sind. Auch, wenn sie sich in Umfragen anders äußern: In der Realität kaufen Verbraucher in erster Linie preissensitiv ein. Durch die extreme Inflation hat sich dieses Phänomen, das „Bürger-Konsumenten-Lücke“ genannt wird, nochmals verstärkt. Einer Umfrage im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) und des Lebensmittelverbands Deutschland zufolge nehmen Verbraucher beim Einkauf für Ersparnisse sogar Abstriche beim Geschmack in Kauf.

Die Politik sollten die Ausweichreaktionen der Bevölkerung alarmieren: Die Preissteigerungen überfordern sie offenbar schon jetzt. Bereits vor Monaten hatte eine Umfrage im Auftrag des ZDG ergeben, dass die  Mehrheit der Bevölkerung nicht bereit ist, teures Bio-Fleisch für über 20 Euro pro Kilo zu kaufen.  Sie in immer höhere Haltungsstufen bis hin zu Bio hineinzuzwingen, die sich viele einfach nicht leisten können, verbietet sich jetzt erst recht.

Wie realistisch sind die Öko-Ausbauziele?

Die Weltbevölkerung wächst und wächst. Selbst wenn die Bauern ihre Ernte jedes Jahr steigern, bräuchte es bis 2050 etwa 200 Millionen Hektar Äcker und 400 Millionen Hektar Weiden und Wiesen zusätzlich, um sie zu ernähren, berichtete die „Welt am Sonntag“ vor kurzem unter Verweis auf die Welternährungsorganisation FAO. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Landwirtschaft, zum weltweiten Klimaschutz beizutragen.

Die landwirtschaftliche Produktion ausbauen und gleichzeitig ihre Auswirkungen aufs Klima minimieren: Wie lässt sich das vereinbaren? Der renommierte Schweizer Agrarwissenschaftler Urs Niggli sagt: „Die besten Voraussetzungen zur Lösung dieses Problems bietet die Biolandwirtschaft.“ Aber er sagt auch: Die Biobauern allein können die wachsende Weltbevölkerung nicht ernähren. Der Grund: Die Bio-Landwirtschaft generiert im Durchschnitt ein Fünftel bis ein Viertel weniger Ertrag als der konventionelle Landbau. Sollte die Weltbevölkerung bis 2050 nur mit Biolandbau ernährt werden, müssten die Ackerflächen um 37 Prozent größer werden, hat Niggli berechnet. Das wiederum würde massiv Lebensräume vernichten und die Artenvielfalt weiter einschränken.

Die Schlussfolgerung, dann müsse eben die Nutztierhaltung beziehungsweise die Fleischproduktion reduziert werden, hilft allerdings auch nur bedingt weiter: Denn der gerne heraufbeschworenen „Teller-versus-Trog“-Debatte liegt der Irrtum der Nutztiergegner zugrunde, dass pflanzliche Lebensmittel und Nutztiere in Konkurrenz zueinander stünden. Warum das nicht stimmt, lesen Sie im nächsten Beitrag.

Wie nachhaltig und tierwohlgerecht ist Bio?

Was Öko und teuer ist, muss auch gut fürs Tierwohl und fürs Klima sein: So zumindest die Überzeugung vieler Verbraucher. Dabei trifft die Kennzeichnung „ökologische Landwirtschaft“ zum Thema Tierhaltung zunächst einmal keine Aussage – also beispielsweise auch nicht darüber, wie viel Auslauf, Platz oder Zuwendung die Tiere bekommen.

Wichtig zu wissen: Freilandhaltung ist zum Beispiel auch mit höheren Risiken durch Umwelteinflüsse, Schädlinge und Tierseuchen verbunden. Gleichzeitig steigen dadurch, dass die Tiere draußen sind, die Schadstoff-Emissionen, die bei Stallhaltung durch hochmoderne Lüftungsanlagen gefiltert würden. In diesem grundlegenden Zielkonflikt zwischen dem Tierwohl und dem Klimaschutz werden heimische Tierhalter zerrieben – und können ihn nicht lösen, solange die Politik hier keine pragmatische Priorisierung vornimmt.

Allerdings fällt die CO2-Bilanz speziell bei Geflügelfleisch bei sachlicher Betrachtung ohnehin vorteilhafter aus, als kritische NGOs glauben machen. Mehr zur wahren Klimabilanz von Geflügel lesen Sie hier.

Wie fair werden Bio-Landwirte für ihr Engagement entlohnt?

Bio ist teuer – auch, weil die Tierhalter für ihre Investitionen in das Premiumsegment belohnt werden. Oder? Fakt ist: Auch Bio-Lebensmittel sind im Zuge der Inflation deutlich teurer geworden. Allerdings liegt das nicht an den Produktionskosten. Die sind für Bio-Produzenten jüngst gar nicht so stark gestiegen.

Jan Plagge, Präsident des Ökobauernverbands Bioland, hat im Interview mit der „Welt“ eine Vermutung geäußert, was stattdessen passiert sein könnte: Die Lebensmitteleinzelhändler testeten beispielsweise bei Bio-Milch womöglich beim Verbraucher die „Preisgrenzen“ aus – auch auf die Gefahr hin, dass in der Folge der Absatz der Bio-Produkte sinke.

In anderen Worten: Wer im Lebensmitteleinzelhandel viel Geld für Bio-Produkte hinlegt, kann daraus nicht automatisch schließen, dass er damit einen Beitrag zu einer fairen Vergütung der Bauern leistet. Das haben Bio-Branche und konventionelle Fleischerzeugung übrigens gemeinsam: Auch bei Fleisch kommen steigende Verbraucherpreise nur zu einem geringen Teil bei den Produzenten an – und das, obwohl beispielsweise die heimische Geflügelwirtschaft nachweislich exorbitante Kostensteigerungen zu verzeichnen hat.

ZDG-Präsident Ripke hatte deshalb jüngst zum wiederholten Mal an den Lebensmitteleinzelhandel appelliert: „Mehr denn je brauchen wir Solidarität in der Wertschöpfungskette“. Das schließe existenzsichernde Preise für die Erzeuger hochwertiger Geflügelfleischprodukte mit ein.

Sensible Kreislaufwirtschaft: Wenn wir die Nutztierhaltung abschaffen, verlieren alle!

Sensible Kreislaufwirtschaft: Wenn wir die Nutztierhaltung abschaffen, verlieren alle!

Besonders hartgesonnene Kritiker der Fleischwirtschaft begnügen sich nicht mit der Forderung nach einer Reduktion der Tierbestände. Sie wollen die Nutztierhaltung am liebsten komplett abschaffen. Vegane Republik Deutschland? Dieses abstruse Szenario verkennt, wie wichtig Tiere für den komplexen Kreislauf in der Natur sind.

Sie ist das Paradebeispiel für eine ideologisch geprägte und emotional aufgeladene Diskussion: Die sogenannte „Teller-Trog-Debatte“ keimt seit Jahrzehnten immer wieder auf – und hat angesichts der Folgen des Kriegs gegen die Ukraine, insbesondere für die Produktion, Verfügbarkeit und Preise von Weizen (bisweilen ergänzt um den Aspekt „Tank“), aktuell wieder Konjunktur.

Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass auf fast 60 Prozent der heimischen Getreideflächen Tierfutter angebaut wird. Angesichts der aktuellen Sorgen um die Ernährungssicherheit kommt das für Kritiker einer ungebührlichen Verschwendung gleich – müsste man auf den Flächen nicht „Brotweizen“ für Menschen statt Futtergetreide für Nutztiere anbauen?

 Mensch, Pflanze, Nutztier – ein komplexes Zusammenspiel

Hinter dieser Forderung steckt die Vorstellung, dass pflanzliche Lebensmittel und Nutztiere in Konkurrenz zueinander stünden – und dass Flächen und Ressourcen, die für die Nutztierhaltung zum Einsatz kommen, für den Menschen gewissermaßen „verbraucht“ beziehungsweise „verloren“ sind. Beides ist grundfalsch.

Denn über den „Umweg“ über das Tier wird aus dem Futterweizen – der sich auf vielen Flächen in Deutschland wegen der Bodenbeschaffenheit für Brotweizen ohnehin nicht eignet – ein für den Menschen höherwertiges Produkt (man spricht hier von „Veredelung“). Besonders in puncto Nährstoffgehalt schlägt das proteinreiche Geflügelfleisch Brot um Längen: Professor Wilhelm Windisch, Experte für Tierernährung an der TU München, hat errechnet, dass bereits kleine Mengen Fleisch ausreichen, um die Lücken der Eiweißqualität veganer Eiweißquellen auszugleichen: Allein ein wertvolles 100-Gramm-Stück Geflügelfleisch kann 47 Prozent des Eiweiß-Tagesbedarfs einer Frau decken.

 Ausscheidungen von Nutztieren als nachhaltiger Dünger

Die effiziente Verwertung sogenannter für den Menschen nicht essbarer Biomasse durch die Nutztiere ist der erste Schritt eines komplexen Kreislaufsystems zwischen Mensch, Tier und Pflanze. Es sorgt unter anderem auch dafür, dass dem Boden die durch den Getreideanbau entzogenen Nährstoffe wie Phosphate oder Stickstoff wieder zurückgeführt werden, weil die Ausscheidungen von Nutztieren als wertvoller und nachhaltiger Dünger zum Einsatz kommen. Auf dem daraus entstehenden fruchtbaren Boden kann wiederum Getreide wachsen.

Das zeigt, dass die Nahrungsproduktion ein komplexes Gebilde ist, das beide Erzeugungswege – den pflanzlichen und den tierischen braucht – und das ohne den Beitrag der Nutztierhaltung zusammenbrechen würde. Dann würden wir alle verlieren: Ohne die Nutztierhaltung kann es, konsequent weitergedacht, auch keine Landwirtschaft geben – weder konventionelle noch biologische.

Was die Vegetarier- und Veganer-Lobby nicht außer acht lassen sollte: Über die Verwendung landwirtschaftlicher Flächen entscheidet nicht Ideologie – sondern regionale, strukturelle und klimatische Bedingungen wie die Bodenbeschaffenheit, Witterung und die Qualität der Ernte. Je nach Klassifikation und Qualität des Weizens eignet sich der Rohstoff für Tier oder Mensch. Die Ansprüche an Nahrungsweizen für die Bevölkerung sind besonders hoch. Selbst wenn es also eine politische oder gesellschaftliche Mehrheit für die Umwidmung von Ackerflächen gäbe – die Natur hätte hier, wie so oft, das letzte Wort.

 

Menschen & Geschichten

Hilfestellung aus der Forschung: Regeln zum konstruktiven Streiten über Tiere

Wie können Menschen Vorurteile überwinden und konstruktiver über Tierhaltung diskutieren? Damit beschäftigt sich sogar die Wissenschaft. Ein Forscher gibt Tipps, welche Regeln in konfliktträchtigen Diskussionen beachtet werden sollten, und wie Landwirte am besten mit Kritik umgehen.

Prof. Dr. Peter Kunzmann forscht und lehrt an der Tierärztlichen Hochschule Hannover zu den Themen Sprachphilosophie und Ethik – insbesondere Tierethik. Seit 2015 hat er hier die Professur für Angewandte Ethik inne, vorher war er über zehn Jahre als Philosophieprofessor in Würzburg tätig. In einem Forschungsprojekt hat er sich der Frage gewidmet, wie Menschen über Tiere streiten – und wie sie konfliktfreier debattieren können. Wir haben mit ihm gesprochen.

FRAGE: Sie haben sich mit dem Forschungsprojekt „Zukunftsdiskurse – Wie Menschen über Tiere streiten“ einer Debatte gewidmet, die oft hoch emotional, teilweise aggressiv geführt wird – vom Konferenz- bis zum Küchentisch. Was macht das Thema Tierhaltung aus Ihrer Sicht so brisant?

Prof. Dr. Peter Kunzmann: Da kommt sehr viel zusammen: Auf der einen Seite gibt es die gefühlte Nähe zu Tieren und den Wunsch, ihnen beizustehen. Bei manchen Verbrauchern vielleicht auch eine Prise schlechtes Gewissen. Ganz sicher wird der Konflikt massiv angeheizt durch die Bildwelten in den Medien, die den Eindruck verstärken, jede Form von Nutztierhaltung sei selbstverständlich Tierquälerei oder zumindest nahe dran.

Auf Seiten der Tierhalter entsteht sicher und verständlich ein Überdruss, ständig am Pranger zu stehen, und sich moralisierende und zum Teil schon kriminalisierende Vorwürfe von Menschen anhören zu müssen, deren Lebenswerk und deren Existenz gerade eben nichts mit Tieren zu tun hat. Unter der Hand tobt da auch ein Kampf um die Deutungshoheit: Tierhalter sehen sich als die Profis, alle anderen als Amateure. Umgekehrt: Zeitgenossen, die sich dem Tierschutz verpflichtet fühlen, halten sich für überlegen, weil sie hier selbstlos und ohne eigene Interessen urteilen.

Wenn Sie schon den Küchentisch erwähnen: Auch innerhalb einer Familie kann es zu höchst unterschiedlichen Bewertungen von Tierhaltung kommen; da gibt es auch tendenziell Unterschiede zwischen den Generationen, was die Einstellung zu Tieren angeht.

FRAGE: Sie haben in einem Interview gesagt, dass ein richtig geführter Diskurs dazu führen kann, weltanschauliche Vorannahmen aufzudecken. Welche Rolle spielen Ideologien, wenn wir über Tierwohl sprechen?

 Kunzmann:  „Ideologien“ wäre mir hier zu scharf. Es geht um fundamentale Differenzen über den Rang von Tieren überhaupt, die sich an konkreten Fragen der Tierhaltung entzünden. In den Diskursen um die konkreten Verhältnisse der Tierhaltung werden die Tatsachen dann jeweils interpretiert im Rahmen von ganz anderen Wert-Systemen. Man sollte nicht unterschätzen, dass Tiere ein Megathema der Gesellschaft geworden sind, und dass viele, vor allem junge Menschen, heute Tiere ganz anders in ihrem Weltbild und in ihrer Ethik einsortieren als unsere Traditionen. Das Denken mancher Tierethiker und vor allem mancher Theoretiker der Tierrechte ist heute vor allem unter jungen Leuten sehr weit verbreitet und gut verwurzelt. Aus der Sicht starker Tierrechtspositionen kann es nicht darum gehen, Besatzdichten zu reduzieren oder die Genetik zu verändern, sondern es geht ums Ganze der Tierhaltung. Dürfen wir das überhaupt? Auch über diese Frage kann und soll man sprechen, aber man sollte das nicht mit einer Debatte um Besatzdichten vermengen. Diese setzt voraus, dass wir Tiere nutzen dürfen, auch zur Nahrungsgewinnung.

FRAGE: Ein Ergebnis Ihres Projektes sind sieben Regeln, mit denen Menschen besser über Tiere streiten können. Welche Regeln sind das?

 Kunzmann: Einige der Regeln gelten sinnvoll für alle konfliktträchtigen Gespräche. Sich um echten Austausch zu bemühen, Gemeinsamkeiten zu suchen und herauszustellen, pauschale Urteile zu vermeiden und über andere Anwesende nicht in der dritten Person zu sprechen: „die Verbraucher“, „die Landwirte“, „die Tierärzte“. Besonders für Diskussionen um die Tierhaltung ist aber auch wichtig, allgemein verständlich und konkret zu sprechen: Hier liegt eine Quelle für Dissens allein schon im Sprachgebrauch. Besonders wichtig ist uns die Vermeidung von Reizwörtern. Vom „Kastenstand“ zu sprechen, ist für die einen schon ein Angriff, vom „Ferkelschutzkorb“ zu reden, ist umgekehrt für die anderen schon Schönfärberei. In vielen Fällen wird durch die Wortwahl sogar ein Urteil vorweggenommen, so dass sich ein weiterer Austausch erübrigt.

Mindestens genauso wichtig ist aber, einen bestimmten Diskurspfad zu kennen und damit eine inhaltliche Strukturierung einzuhalten: Nämlich zuerst über das zu sprechen, was ist, und wie wir bewerten, was ist: fachlich, medizinisch, ethisch, rechtlich. Dann zu sehen, wo wir hinwollen. Als letztes zu fragen, welche Bedingungen dafür erfüllt sein müssen, und wer dafür verantwortlich ist. Die allermeisten Diskussionen zum Thema kranken daran, dass von Tierhalterseite gleich auf die Realisierung gepocht wird, während die Tierschutzseite ihre Anliegen nicht verstanden und ernstgenommen sieht. Beides ist wichtig, beides muss im Diskurs vorkommen, aber in der richtigen, sinnvollen Reihenfolge.

FRAGE: Haben Sie die Regeln selbst schon einmal erprobt? Und wann haben Sie sich das letzte Mal über Tierhaltung gestritten?

Kunzmann: Wir haben insgesamt sehr viel und sehr gute Erfahrung mit den Diskursregeln und dem Diskurspfad gemacht. Zum letzten Mal habe ich beides eingesetzt im Landwirtschaftspraktikum mit unseren Studierenden: Viele von ihnen treffen dabei in unserem Lehrgut zum ersten Mal auf die realen Verhältnisse, und praktisch alle Argumente und Themen, die in der Öffentlichkeit bewegt werden, werden dort diskutiert. Dabei und bei der Begleitung des Praktikums insgesamt zeigt sich der große Vorteil unseres Vorgehens: Erst sehen und beurteilen lernen, welche Auswirkung welche Praxis auf die Tiere hat. Sich dann fragen, welche tierschonenderen Alternativen es gäbe. Und dann  fragen, wie wir sie realisieren können.

FRAGE: Wenn es um kritische Themen in der Nutztierhaltung geht, wird in der Öffentlichkeit schnell mit dem Finger auf die Landwirte gezeigt. Wie sollten die aus Ihrer Sicht mit Kritik umgehen?

 Kunzmann: Allem voran: Sie brauchen sehr viel Geduld. Die tierhaltende Landwirtschaft hat sich über Jahrzehnte von der Gesellschaft lebensweltlich abgesondert. Dabei haben sich die Praxis und die Vorstellungen und Ideale über die Praxis ziemlich weit auseinander entwickelt. Da gilt es auch, Wissen und Sachkunde zu vermitteln. Aber bitte ohne belehrenden Ton. Wer sich für die heutige Tierhaltung interessiert, hat dafür seine Gründe, und diese sollten umgekehrt die Landwirte sehr ernst nehmen und sich etwas genauer mit ihnen befassen. Denn selbst ein vorbildlich und nach den jetzigen Grundsätzen der guten fachlichen Praxis geführter Betrieb kann kritisiert werden, insbesondere, wenn sich gesellschaftliche Maßstäbe verschieben. Es verpflichtet also Landwirte dazu, sich stets auch mit den ethischen Hintergründen auseinanderzusetzen. Wir haben dazu gerade ein Projekt mit der BLE (Anm.: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung), das hier Brücken bauen soll, die nach beiden Seiten begangen werden können. Voraussetzung für alle fruchtbare Auseinandersetzung ist aber auch, dass die Praxis keinen Anlass zur berechtigten Kritik hervorbringt. Sonst kann auch kein Kommunikationsmodell helfen.

Mehr über das Projekt „Zukunftsdiskurse – Wie Menschen über Tiere streiten“ erfahren Sie hier.

Geflügelzukunft on air

Herkunft à la Carte: Zu Gast im Audi-Betriebsrestaurant
Herkunft à la Carte: Zu Gast im Audi-Betriebsrestaurant

Wir setzen unsere Videoreihe „Herkunft á la Carte – Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie“ fort: Victoria Broscheit realisiert Stück für Stück eine freiwillige Kennzeichnung in den 14 Betriebsrestaurants von Audi. Sie ist überzeugt: Die Gemeinschaftsgastronomie hat eine Vorbildfunktion für hochwertige und gesunde Ernährung. Schauen Sie selbst!

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Gewusst, wie

Unersetzbar: Die Haltungskennzeichnung der Initiative Tierwohl (ITW)
Unersetzbar: Die Haltungskennzeichnung der Initiative Tierwohl (ITW)

Die privatwirtschaftliche Initiative Tierwohl (ITW) hat vor Jahren freiwillig hohe Haltungsstandards und ein verlässliches Kennzeichnungssystem in der heimischen Tierhaltung etabliert – zum Vorteil von Tieren, Landwirten und Verbrauchern. Das von der Regierung geplante, verpflichtende staatliche Haltungskennzeichen droht diese Errungenschaften zunichtezumachen.

Laut Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sprechen sich 87 Prozent der Verbraucher in Deutschland für eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung aus. Dabei kommt die heimische Fleischwirtschaft dem Wunsch der Bevölkerung nach Transparenz bei den Haltungsbedingungen schon lange freiwillig nach: In der privatwirtschaftlichen Initiative Tierwohl (ITW) haben sich im Jahr 2015 Akteure aus Land- und Fleischwirtschaft, Lebensmittelhandel und Gastronomie zusammengeschlossen, um sich für Tierhaltung, Tiergesundheit und Tierschutz in der Nutztierhaltung einzusetzen.

Die ITW vergibt dafür ein eigenes, streng kontrolliertes Haltungssiegel, das sich in vier Stufen unterteilt. Dabei gilt: Je höher die Standards, desto höher die Stufe. Die Kriterien sind: Platz pro Tier, Stall- oder Freilandhaltung, Art und Anzahl des Beschäftigungsmaterials, Wahl der Futtermittel und die Zuchtlinie. Zudem müssen je nach Stufe bestimmte Standards beim Tiergesundheitsmonitoring eingehalten werden. Die teilnehmenden Landwirte werden zwei Mal im Jahr geprüft – einmal unangekündigt und einmal mit Ankündigung, die aber maximal 24 Stunden vorher erfolgt.

Erfolgsmodell mit Effekt

Warum machen so viele Landwirte freiwillig mit? Sie werden durch die ITW finanziell dabei unterstützt, über gesetzliche Standards hinausgehende Maßnahmen zum Wohl ihrer Tiere umzusetzen. Dafür haben sich die ITW-Partnerunternehmen dazu verpflichtet, einen einheitlich festgelegten Tierwohl-Aufpreis bereitzustellen. Damit ist der Umstieg vom gesetzlichen Mindeststandard (Haltungsformstufe 1) in die tierwohlgerechte Haltungsstufe 2 für Landwirte machbar, und für den Verbraucher bleibt das Fleisch bezahlbar.

Insbesondere im Bereich Geflügel ist die Initiative mitsamt Haltungskennzeichnung ein voller Erfolg: 90 Prozent der Hähnchen und Puten, die in Deutschland erzeugt werden, werden nach ihren Vorgaben gehalten. Speziell bei der gekennzeichneten Ware im Lebensmitteleinzelhandel dominiert heute mit Abstand die Haltungsformstufe 2: mit 86 Prozent bei Hähnchen und sogar 94 Prozent bei den Puten. Die Haltungsstufe 1 spielt bei Geflügel dagegen so gut wie keine Rolle mehr.

Staatliches Kennzeichensystem mit Lücken

Welchen Mehrwert kann vor diesem Hintergrund das geplante, verpflichtende Tierhaltungskennzeichen bringen? Gar keinen, findet Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbandes der Geflügelwirtschaft e.V. (ZDG): „Der vorliegende Referentenentwurf kann und darf in dieser Form nicht Gesetz werden. Damit würde der Nutztierstandort Deutschland mit seinen Tierhaltern und Unternehmen innerhalb der EU völlig wettbewerbsunfähig.“ Denn während die heimischen Produzenten mit immer höheren Auflagen und strengen Kontrollen konfrontiert sind, dürfen ausländische Erzeuger freiwillig an der Haltungskennzeichnung teilnehmen, wenn sie die Anforderungen erfüllen – nur kann keiner deren Einhaltung verlässlich kontrollieren. Die Folge: Deutsche Tierwohlware wird gegenüber häufig minderwertig produziertem Billigfleisch aus dem Ausland noch stärker benachteiligt.

Weiterer Knackpunkt: Die heimische Landwirtschaft ist gefordert, zügig weitere Tierwohlfortschritte in Richtung Haltungsformstufen 3 und 4 zu unternehmen und auch bereit dazu. Aber bisher hat sich die Politik nicht darüber einigen können, wer die dafür erforderlichen Umbauten finanzieren soll. Die Bereitschaft, noch mehr Geld in die Hand zu nehmen, ist weder bei den Landwirten noch den Verbrauchern hoch – inflationsbedingt ist es ihnen oft gar nicht möglich.

Fazit: ITW beibehalten, Herkunftskennzeichen entwickeln

„Es ist schwer nachzuvollziehen, warum die Regierung ein erfolgreiches Label mit etabliertem Finanzierungs- und Kontrollsystem de facto abschaffen will“, sagt ZDG-Präsident Ripke. Denn zu erwarten ist, dass bei einer Einführung eines staatlichen Kennzeichens das ITW-Label auf Verpackungen zumindest optisch in den Hintergrund treten muss. Die Verwirrung beim Verbraucher wäre perfekt.

Um das Tierwohl zu fördern und die heimische Landwirtschaft zukunftsfest zu machen, wäre es zielführender, von der ITW zu lernen, sich ihre Expertise und ihre Kontrollsysteme zunutze zu machen. Nicht zuletzt sollte die Politik nicht bei der staatlichen Haltungskennzeichnung stehen bleiben, sondern – wie im Koalitionsvertrag versprochen – zügig auch die Herkunftskennzeichnung voranbringen. Gerade im bisher völlig intransparenten Außer-Haus-Verzehr tut das Not. Ripke: „Wenn die heimische Branche trotz Kostenexplosion, steigenden staatlichen Auflagen und Milliarden-Transformationskosten langfristig eine Chance haben soll, brauchen wir schnellstmöglich eine obligatorische Herkunftskennzeichnung auf allen Vermarktungswegen – als klare Auszeichnung und Wertschätzung der deutschen Ware.“

 

Der Gegencheck

Tierwohl hängt nicht von der Betriebsgröße ab!

These: „Die Massentierhaltung ist schlecht und gehört abgeschafft“

Schon die Verwendung des Reizwortes „Massentierhaltung“ transportiert eine Ideologie: Die Haltung vieler Tiere in einem Stall ist für Kritiker der Inbegriff für mangelndes Tierwohl und schlechte Tiergesundheit.

Das ist aus unserer Sicht aus mehreren Gründen unfair und nicht zutreffend. Zum einen stellt sich die Frage: Ab wann beginnt eigentlich „Massentierhaltung“? Eine Definition per Gesetz gibt es nicht. „Leuten, die grundsätzlich gegen die konventionelle Nutztierhaltung sind, sind 150 Hähnchen in einem Stall schon zu viel – gegen diese ideologische Kritik haben wir keine Chance, egal, wie gut wie uns um unsere Tiere kümmern“, sagt eine Geflügelhalterin aus einem ostdeutschen Bundesland.

Damit trifft sie den Nagel auf den Kopf: Denn für das Tierwohl ist nicht die Anzahl der Tiere im Stall entscheidend. So sagt das Bundesinformationszentrum für Landwirtschaft mit Verweis auf das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dass ein Zusammenhang zwischen Bestandgröße und Tierwohl nicht wissenschaftlich belegt sei. Auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) stellt fest: „Nach derzeitigem Kenntnisstand hat die Betriebsgröße gegenüber anderen Einflussfaktoren (wie der Managementqualität) einen vergleichsweise geringen Einfluss auf das Tierwohl“. Auf was also kommt es stattdessen an? An vorderster Stelle auf das Können und das Engagement der Tierhalterinnen und -halter, so das BMEL. Hinzu kommen Faktoren wie Bewegungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, Tageslicht oder Stallklima.

Und genau hier nimmt Deutschlands Geflügelwirtschaft im Ländervergleich schon heute eine Spitzenposition ein. Mehr als 80 Prozent unserer Hähnchen- und Putenhalter sind beispielsweise Mitglied der Initiative Tierwohl (ITW), deren dominierende Haltungsformstufe 2 für die Tiere Bedingungen deutlich über den – ohnehin schon hohen – gesetzlichen Standards gewährleistet. Bei den Putenhaltern hat eine freiwillige Selbstverpflichtung, die sogenannten „Bundeseinheitlichen Eckwerte zur Haltung von Mastputen“ dazu beigetragen, dass die heimische Branche heute zur Weltspitze bei Qualitäts- und Tierwohlstandards gehört.

Weitere Tierwohlfortschritte sind möglich und erwünscht – dafür brauchen die heimischen Halter aber faire Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU sowie Unterstützung und langfristige Planungssicherheit für ihre Investitionen in Stallumbauten. Als „Massentierhalter“ verunglimpft zu werden, hilft für dieses Ziel aus unserer Sicht nicht weiter.

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